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Frühlingsfest in Stuttgart: In sieben Minuten am Einsatzort

Ehrenamtliche Einsatzkräfte des DRK müssen beim Frühlingsfest mehr als 1.000 Patienten versorgen

Mit der Rolltrage auf dem Cannstatter Wasen: Alexander Jahn und Maximilian Niemann (rechts) sind ehrenamtlich beim Stuttgarter F
Mit der Rolltrage auf dem Cannstatter Wasen: Alexander Jahn und Maximilian Niemann (rechts) sind ehrenamtlich beim Stuttgarter Frühlingsfest im Einsatz. FOTO: STEEGMÜLLER
Mit der Rolltrage auf dem Cannstatter Wasen: Alexander Jahn und Maximilian Niemann (rechts) sind ehrenamtlich beim Stuttgarter Frühlingsfest im Einsatz. FOTO: STEEGMÜLLER

STUTTGART. Der Schock steht fünf Frühlingsfestbesuchern regelrecht ins Gesicht geschrieben. Als sie sich am Dienstagabend an einer Imbissbude für die nächsten Stunden stärken wollen, bricht eine Angestellte vor ihren Augen zusammen. Während ihre Kollegin Erste Hilfe leistet, ruft der Betreiber die 112 an. »Wo, was, wann – und das war es dann schon. Ich habe die Rettungswagen schon oft übers Festgelände fahren sehen, dass sie so schnell da sind, habe ich aber noch nie erlebt«, sagt der sichtlich geknickte Schausteller. In nicht einmal zwei Minuten sind die Sanitäter vor Ort, versorgen die junge Frau.

Sieben Minuten beträgt die mit dem Veranstalter in.Stuttgart vereinbarte Hilfsfrist des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) auf dem Wasen. Dass sie eingehalten wird, ist rund 2.000 ehrenamtlichen Einsatzkräften aus dem ganzen Land zu verdanken, die beim Frühlingsfest im Drei-Schicht-Betrieb im Einsatz sind. »Ohne sie könnte man solch eine Veranstaltung nicht wuppen. Sie kommen aus befreundeten Bereitschaften«, sagt Maximilian Niemann, der seit fünf Jahren extra Urlaub nimmt, um beim Volks- und Frühlingsfest dabei zu sein. Auch er ist ausgebildeter Rettungssanitäter, dazu noch Zugführer. »Im Grunde sind wir aber alle gleich qualifiziert, sorgfältig geschult und trainiert. Für alles, was kommen kann, sind wir gewappnet.«

Im ersten Moment könnte man hier an schwere Schlägereien, Stürze oder jugendliche Alkoholleichen denken. Der 29-Jährige muss diese Einschätzung allerdings relativieren. 90 Prozent der Fälle seien Alltagsgeschäft. An heißen Tagen beispielsweise der Sonnenstich oder auch die zu rasante Achterbahnfahrt, die einem den Stecker zieht. »Das Frühlingsfest ist internationaler geworden, mit viel Familien und Touristen. Als ich vor fünf Jahren angefangen habe, waren viele sehr junge Besucher stark alkoholisiert, das ist mittlerweile aber die Ausnahme.«

Weniger Alkoholleichen

Erfahrungsgemäß versorgt das DRK beim Frühlingsfest in 23 Tagen mehr als 1.000 Patienten, 1.300 waren es im letzten Jahr. Die Trunkenheit macht dabei nicht den Löwenanteil als Ursache aus, wobei wohl eine gewisse Korrelation besteht. Der Großteil der Besucher, die vom DRK auf dem Wasen betreut werden, erleidet Schnittverletzungen. »Weil sie in Glasscherben getreten sind oder an einen kaputten Maßkrug gefasst haben.« Darüber hinaus würde sich auch das Personal regelmäßig schneiden, sagt Niemann. Genäht werde auf dem Wasen nicht, nach einer Erstversorgung, meist einem Druckverband, würden Patienten in ein Krankenhaus gebracht. Bei kleineren Schnitten auch mal mit dem Taxi statt dem Rettungswagen.

83 Patienten in zwei Tagen

Am Vorfeiertag und am 1. Mai sind die Rettungssanitäter insgesamt zu 83 verletzten oder erkrankten Personen auf dem Festgelände ausgerückt. Trotz der teilweise dicht gedrängten Reihen habe man den Anspruch, eine schnelle Versorgung zu gewährleisten, bevor der Zustand eines Patienten kritisch wird», sagt Alexander Jahn, stellvertretender Leiter der Cannstatter Bereitschaft 4, der auch hauptberuflich Notfallsanitäter ist. Um möglichst schnell am Einsatzort zu sein, befinden sich die Sanitäter an zwei verschiedenen Standorten, der Neckar- und der Wasenwache. Letztere stellt auch die Zentrale dar. Neben Ruheräumen ist sie mit drei Ambulanzen ausgestattet, eine davon verfügt über ein Beatmungsgerät und EKG. «Von dort aus werden auch die Rettungswagen und Krankentransportwagen, liebevoll Pflasterlaster genannt, disponiert. Regelmäßig werde aber auch auf eine 150 Kilogramm schwere Rolltrage gesetzt, die von vier Mitarbeitern durch die Besuchermassen geschoben wird.

Sie hätte allerdings nicht für einen der kuriosesten Fälle gereicht, den die beiden Sanitäter auf dem Wasen miterlebt haben. »Eine Familie hat ihren Zusammenhalt auf besondere Art unter Beweis gestellt. Oma, Opa, Vater, Mutter und deren zwei erwachsene Kinder haben gemeinsam zu tief ins Glas geschaut und mussten anschließend länger in den Ruheraum«, sagt Jahn, der bereits zum achten Mal beim Frühlingsfest im Einsatz ist.

Betrunken im Ruheraum

»Als sie sich erholt hatten, wurden sie von Angehörigen abgeholt.« Schmunzeln muss er auch, wenn er an »einen berühmt, berüchtigten Boxautomaten« zurückdenkt. Er sei zum Glück Geschichte, habe aber für zahlreiche Verletzungen an der Hand gesorgt.

Alexander Jahn und Maximilian Niemann werden in gut einer Woche wohl mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die 84. Auflage des Stuttgarter Frühlingsfests zurückblicken. »Wir haben ein großartiges Team, das jederzeit vom Scherz- in den Einsatzmodus schalten kann.« Das mache einfach großen Spaß.

Schluss-Wochenende

Zugleich betonen sie, dass die Tage auf dem Wasen durchaus kräftezehrend seien. »Die Ansagen der Schausteller hört man noch im Schlaf«, sagt Jahn. Auch die immer gleichen Lieder der Fahrgeschäfte würden irgendwann nerven, fügt Niemann hinzu.

Noch ist die Ohrwurm-Gefahr aber nicht gebannt. Bereits am Samstag sind die beiden wieder auf dem Wasen im Einsatz. Am letzten Wochenende des 84. Frühlingsfestes bereitet man sich in der DRK-Wasenwache – ähnlich wie am Tag der Arbeit und beim VfB-Heimspiel – auf einen Besucheransturm vor. »55 Personen sind in einer Schicht jeweils vor Ort, bei Bedarf können wir weitere Kräfte, die sich zu Hause bereithalten, hinzuziehen«, sagt Jahn. »Ich hoffe, dass insgesamt alles ruhig bleibt, wie schon am 1. Mai.« (GEA)