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Flüchtlingspolitik: Palmer und Grünen-Realos für neuen Kurs

Nach der Berlin-Wahl meldet sich eine neu formierte Gruppe von Grünen-Realpolitikern zu Wort. Auch der streitbare Tübinger Oberbürgermeister Palmer trägt das Manifest zur Migrationspolitik mit.

Boris Palmer
Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen. Foto: Marijan Murat
Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen.
Foto: Marijan Murat

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat mit einer Gruppe von Grünen-Realpolitikern einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik gefordert. Es sei auch in Deutschland ein Rechtsruck zu befürchten, falls Bürgerinnen und Bürger weiter ihr Sicherheitsgefühl einbüßten, heißt es in einem Manifest der Gruppe »Vert Realos«. »Vert« heißt im Französischen »Grün«.

Zu den Unterzeichnern gehören der frühere Grünen-Bundestags-Fraktionschef und Palmer-Anwalt Rezzo Schlauch und die frühere Europaparlamentarierin Rebecca Harms. Zuerst hatte der »Spiegel« berichtet.

Die Forderung nach einer Neuorientierung kommt kurz nach der Wiederholungswahl in Berlin, bei der die Grünen hauchdünn hinter der SPD auf dem dritten Platz landeten - aber weit hinter dem Wahlsieger CDU. Ein großes Thema der Abstimmung waren Randale in der Silvesternacht. Die Grünen hatten sich über Äußerungen von CDU-Politikern in der Integrationsdebatte nach den Krawallen empört.

Es gebe immer noch »kein Konzept für eine gelungene Integration oder die konsequente Rückführung von Geflüchteten in ihre Heimat, sobald sich dies verantworten lässt oder sie selbst es wollen«, heißt in dem Memorandum der Grünen-Realos. »Die Migrantinnen und Migranten wissen nicht, was von ihnen erwartet wird und machen sich mit falschen Hoffnungen auf den weiten Weg.« Es werde kaum zwischen Kriegs-, Asyl- und Wirtschaftsmigranten unterschieden, lautete die Kritik.

Zustimmung für die Realos kam von der FDP. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schlug vor, sich zusammenzusetzen und über einen neuen Kurs in der Migrations- und Integrationspolitik zu sprechen, wie Djir-Sarai der Deutschen Presse-Agentur in Berlin sagte. »Wir brauchen dringend in Deutschland eine Migrations- und Integrationspolitik, die im Einklang mit der Realität ist, im Interesse unseres Landes ist und die Sorgen der Bürger nicht ignoriert«, forderte Djir-Sarai. Und: »Die katastrophalen Fehler der Merkel-Jahre dürfen sich nicht wiederholen.«

Der gerne polarisierende Palmer hatte im Januar seine dritte Amtszeit als Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen angetreten. Seine Mitgliedschaft bei den Grünen ruht bis Ende 2023 wegen eines Streits um Tabubrüche und Rassismusvorwürfe.

Nach Palmers jüngstem Wahlsieg hatten sich mehrere Politiker des Realo-Flügels für eine Wiederannäherung zwischen ihm und der Partei ausgesprochen. Beim linken Flügel in Baden-Württemberg gab es jedoch Widerstand. Bereits zu Jahresbeginn sprach sich Palmer dafür aus, einen verurteilten Vergewaltiger aus Illerkirchberg (Alb-Donau-Kreis) in seine afghanische Heimat abzuschieben.

Asylempfänger müssten sich einordnen in die »geschichtlich gewachsene gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland«, lautete eine weitere Forderung aus dem Manifest der Grünen-Realos. Die Gewährung von Asyl setze auch voraus, dass Asylbewerber beim Aufnahmeverfahren mitwirken und nicht straffällig werden. »Ansonsten verfällt das Asylrecht und damit das Aufenthaltsrecht, was auch eine (möglichst zügige) Abschiebung nach sich ziehen muss.«

Nach der Berlin-Wahl forderte FDP-Chef Christian Lindner, dessen Partei aus dem Abgeordnetenhaus geflogen war, Lehren für die Politik der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene zu ziehen - ein Punkt: die Integrationspolitik. Lindner sagte, die Menschen ließen sich die »Beobachtungen von nicht gelingender Integration im Alltag« nicht von politisch korrekten Argumenten ausreden. Es gebe eine ganz klare Erwartung, irreguläre Migration nach Deutschland zu unterbinden. Vor diesem Hintergrund kommt nun das Memorandum der Grünen-Realos - für die Parteispitze droht die Debatte, die folgen dürfte, ungemütlich zu werden.

Einer der Unterzeichner ist Jens Marco Scherf, Grünen-Landrat im unterfränkischen Miltenberg. Sein Auftritt vor kurzem in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz hatte für Aufsehen gesorgt. Scherf sagte, Migration in seinem Landkreis sei in großen Teilen gelungen - wenn sie auch in Zukunft gelingen solle, müsse man aber den Mut haben, »Missstände ganz offen anzusprechen«, ohne dass man diffamiert werde, dass man alle verunglimpfen wolle.

Am Donnerstag hatten Bund, Länder und Kommunen bei einem Treffen in Berlin eine bessere Abstimmung zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen vereinbart. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, zeigte sich allerdings mit den Ergebnissen in der Summe unzufrieden.

Memorandum für andere Migrationspolitk, 11.2.

© dpa-infocom, dpa:230218-99-646537/3