Ungeachtet öffentlicher Kritik hält Lörrach an der geplanten Umwandlung von alten Mietwohnungen in ein Flüchtlingsheim fest. »Wir haben das mehrfach so gemacht«, sagte Oberbürgermeister Jörg Lutz (parteilos) am Mittwoch in der südbadischen Stadt. »Es waren alle zufrieden.« Die Gesellschaft sei aber mittlerweile eine andere geworden, gab er zu bedenken. Der Druck auf die Kommunen sei groß: Allein im vergangenen Jahr habe Lörrach 638 geflüchtete Menschen aufgenommen.
Rund 40 Bewohner sollen aus einem Wohnkomplex ausziehen, um Platz für Geflüchtete zu schaffen. Von dem städtischen Unternehmen Wohnbau Lörrach sollen Mieterinnen und Mietern modernere und bezahlbare Wohnraumangebote unterbreitet werden. Es geht um 30 Wohnungen, es sind hauptsächlich Ein-Personen-Haushalte.
»Die erste Wohnung ist schon gefunden«, sagte Geschäftsführer Thomas Nostadt. Ein Schreiben seines Unternehmens an betroffene Mieter hatte in den sozialen Netzwerken seit Wochenbeginn breite Debatten ausgelöst. Dabei wurde auch deutliche Kritik am Vorgehen des Wohnungsbauunternehmen geäußert. Auch Bundes- und Landespolitiker meldeten sich zu Wort.
Da es Angebote für die Mieter geben solle, erwarte er, dass förmliche Kündigungen für die Wohnungen aus den 1950er-Jahren gar nicht nötig seien, sagte der Rathauschef. Es war geplant gewesen, die Wohnungen wegen ihres Zustandes in den kommenden Jahren abzureißen und neu zu bauen. Laut Nostadt sind Kündigungen aus »berechtigtem öffentlichen Interesse« durchaus möglich.
Lutz zeigte sich erstaunt über das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit: »Die 30 Wohnungen taugen nun wirklich nicht, den ganz großen Skandal herbeizureden.« Er bedauerte, dass Inhalte des Wohnbau-Schreibens aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. »Es ist viel Staub aufgewirbelt worden.«
Wegen der Debatten fällt eine für Montag angekündigte Bewohnerversammlung zunächst aus. »Die Stimmung ist zu aufgeheizt«, sagte Nostadt. Er und Lutz beklagten, dass Mitarbeiter beschimpft und bedroht worden seien. Nostadt sprach von »Hunderten Hassmails«.
Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg führt die aktuellen Probleme bei der Unterbringung von Geflüchteten auch auf die Schließung einst vorhandener Flüchtlingsunterkünfte zurück. Wegen sinkender Flüchtlingszahlen sei man dazu übergegangen, Standorte zu schließen. Das falle den Kommunen jetzt auf die Füße, sagte eine Sprecherin.
Natürlich seien viele Kommunen am Rande dessen, was sie leisten könnten. »Man kann aber auch beobachten, dass die Lage da angespannt ist, wo die Unterbringungsplätze nach dem Flüchtlingszustrom 2015/16 wieder abgebaut wurden«, sagte sie. Der Flüchtlingsrat spreche sich für flexiblere Strukturen aus: So solle man Geflüchteten beispielsweise erlauben, bei Bekannten, Freunden oder Verwandten unterzukommen, sofern das den Betroffenen möglich sei. »Auch das kann die Lage auf dem Wohnungsmarkt entzerren«, sagte sie. Das aktuelle Aufnahmesystem sei viel zu rigide.
Vier Abgeordnete der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag teilten mit, sie hätten Strafanzeige gegen die Geschäftsführung der Wohnbaugesellschaft Lörrach gestellt. Grund ist der Verdacht der Nötigung zum Nachteil der betroffenen Mieter.
Pressemitteilung der Stadt, 20.2.
Video des SPD-Landtagsabgeordneten Jonas Hoffmann
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