Riesige Felsmassen bedrohen das Bergdorf Brienz in der Schweiz. Die Lage hat sich derart zugespitzt, dass die gut 50 Einwohner noch diese Woche umsiedeln müssen. Am Dienstagabend informierten die Lokalbehörden die Bewohnerinnen und Bewohner über die Einzelheiten. Bis Freitag 18.00 Uhr muss das Dorf in Graubünden geräumt sein. Es liegt rund 25 Kilometer Luftlinie südwestlich von Davos auf etwa 1100 Metern Höhe und ist nicht zu verwechseln mit dem bekannteren Brienz unweit von Interlaken am Brienzersee.
Oberhalb des Dorfes seien bis zu zwei Millionen Kubikmeter Felsmaterial in Bewegung, berichtete der Leiter des Frühwarndienstes, Stefan Schneider. Die Gesteinsmassen bewegen sich nach den Messungen mehr als doppelt so schnell wie noch vor wenigen Wochen. Die SRF-Nachrichten zeigten am Abend ein eindrucksvolles Zeitraffervideo, in dem die Bewegung der riesigen Felsmassen zu sehen war.
Die Region ist seit Jahrhunderten in Bewegung. Das Dorf selbst rutscht seit 20 Jahren mit rund einem Meter pro Jahr Richtung Tal. Dass der Felsbereich namens »Insel« oberhalb des Dorfes gefährlich ist, war seit Jahren bekannt. Die Einwohner wussten schon lange, dass eine Räumung droht. Dass die Entscheidung jetzt fiel, habe auch mit der Wetterprognose zu tun, sagte Simon Löw, emeritierter Professor für Ingenieurgeologie an der Universität ETH Zürich, im Schweizer Fernsehen. Bis Sonntag seien jeden Tag Niederschläge vorhergesagt, das könne die Rutschgeschwindigkeit noch erhöhen.
Unklar ist, ob Schutt und Geröll das Dorf treffen. Das sei zwar unwahrscheinlich, sagte Löw. »Aber im extremsten Fall (...) kann es einen Bergsturz geben. Das ist etwas, wobei mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 200 Kilometern in der Stunde der Hang herab donnert, in 30 Sekunden im Dorf ist und das Dorf zerstört.«
Der Klimawandel macht Felsstürze in manchen Gegenden wahrscheinlicher, etwa dort, wo Permafrost auftaut, Schutt und Geröll Halt verlieren oder Wasser in Felsspalten eindringt und der Druck Felsstücke absprengt. In Brienz spielt dies nach Angaben von Löw aber keine Rolle. Es gebe keinen auftauenden Permafrost und es sei kein Zusammenhang zwischen den jährlichen Niederschlägen und der Fließgeschwindigkeit des Geländes festgestellt worden.
Nachrichtensendung 10vor10 mit Zeitraffervideo
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