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Fach Demokratie in der Schule: Was müssen Lehrer tun?

Lehrkräfte sind zu politischer Neutralität verpflichtet. Oder etwa doch nicht? Und was meint die Kultusministerin, wenn sie von falscher Neutralität spricht? Eine Einordnung.

Die grün-schwarze Landesregierung hat in ihrer kürzlich verabschiedeten Bildungsreform die Demokratiebildung an Schulen gestärkt
Die grün-schwarze Landesregierung hat in ihrer kürzlich verabschiedeten Bildungsreform die Demokratiebildung an Schulen gestärkt. Foto: Julian Stratenschulte
Die grün-schwarze Landesregierung hat in ihrer kürzlich verabschiedeten Bildungsreform die Demokratiebildung an Schulen gestärkt.
Foto: Julian Stratenschulte

STUTTGART. Demokraten wachsen nicht auf Bäumen, sagte kürzlich Daniel Kraft von der Bundeszentrale für politische Bildung und unterstrich die Bedeutung von Schulen als zentrale Orte der politischen Bildung. Diese Bedeutung hat auch die grün-schwarze Landesregierung erkannt und mit ihrer kürzlich beschlossenen Bildungsreform die Demokratiebildung an Schulen gestärkt. Doch viele Lehrkräfte sind verunsichert, immer wieder steht die Frage im Raum: Müssen Lehrkräfte dabei immer politisch neutral sein? Oder anders gefragt: Wie viel Meinungsäußerung ist erlaubt?

Was sagt die Kultusministerin?

Europas größte Bildungsmesse Didacta fand in Stuttgart vor Kurzem unter dem Motto »Demokratie braucht Bildung – Bildung braucht Demokratie« statt. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) wandte sich dort an die Lehrkräfte und sagte: »Die wirksamste Form der Immunisierung gegen Hass und Hetze ist Wissen.« Unterricht müsse politisch ausgewogen sein, es dürfe aber keine falsche Neutralität geben. Sie forderte von den Lehrkräften in Zeiten von Fake News und Polarisierung klar für Demokratie einzustehen.

Was heißt das nun konkret?

Auf GEA-Nachfrage teilt das Kultusministerium mit, den Schulen vor der anstehenden Bundestagswahl ein Papier zur Verfügung gestellt zu haben, um den »oft missverstandenen Begriff der Neutralität«, wie es ein Sprecher schreibt, zu erläutern. In dem Schreiben heißt es: »Schulen sind keine wertneutralen Orte. Aus den verfassungsrechtlich festgelegten Erziehungs- und Bildungszielen ergibt sich vielmehr der Auftrag, die Schülerinnen und Schüler zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen. Deshalb wäre es falsch, die Neutralität so zu verstehen, dass die Lehrkräfte ohne eigene Haltung und Überzeugung auftreten müssen.« Und weiter heißt es: »Äußerungen oder Aktivitäten, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind, kann im schulischen Kontext daher kein Raum gegeben werden.«

Was sind die rechtlichen Rahmenbedingungen?

Im Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), das sowohl für die Bundes- als auch für die Landes- und Kommunalbeamten gilt, heißt es in Artikel 33 Absatz 2: »Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.« Für Tarifbeschäftigte gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) nichts anderes.

Es geht also nicht um bedingungslose Neutralität im Unterricht, sondern um ein Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot bei der Kundgabe eigener politischer Überzeugungen. Im Unterricht müssen Lehrkräfte politische Sachverhalte damit ausgewogen und sachlich behandeln. Die eigene politische Überzeugung muss aber nicht versteckt werden, es ist aber wichtig, dass auch andere Auffassungen thematisiert werden.

Was ist der Beutelsbacher Konsens?

Um das Mäßigungsgebot für den Unterricht etwas verständlicher zu machen, hilft es, sich den im Jahr 1976 formulierten Beutelsbacher Konsens anzusehen. Darin wurden vom inzwischen verstorbenen Reutlinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling drei Prinzipien formuliert, die bis heute als Leitgedanken politischer Bildung etabliert sind.

Als erstes Prinzip gilt das Überwältigungsverbot. Es darf keine Indoktrination vonseiten der Lehrkräfte stattfinden, sie dürfen Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen. Lehrkräfte dürfen ihre eigene politische Meinung zwar ausdrücken, dürfen diese aber nicht als allgemeingültig darstellen. Kontroverse Themen müssen im Unterricht aus verschiedenen Perspektiven behandelt werden (Kontroversitätsgebot). Schüler sollen damit in die Lage versetzt werden, eine eigene kritische Meinung auszubilden (Schülerorientierung).

Wie positionieren sich die Verbände?

»Lehrkräfte und alle anderen pädagogischen Profis müssen und dürfen nicht neutral sein. Wenn es um Vielfalt und Demokratie geht, brauchen wir Personen in den Kita-Gruppen und Klassenzimmern, die mutig für die Werte unserer Demokratie einstehen. Es freut uns, dass auch die Kultusministerin dafür allen Beschäftigten den Rücken gestärkt hat«, sagt Monika Stein, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie folgt damit dem stellvertretenden Vorsitzenden der GEW, Andreas Keller, der kürzlich sagte: »Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland müssen nicht politisch neutral sein. Es ist ihre durch das Grundgesetz und die Landesschulgesetze festgelegte Aufgabe, Schülerinnen und Schüler demokratische Werte wie Menschenrechte und Toleranz zu vermitteln.«

Der Vorsitzende des VBE (Verband Bildung und Erziehung) Gerhard Brand sagt auf GEA-Anfrage: »Die AfD behauptet immer wieder, dass in Schulen und anderen Bildungsorten nicht kritisch über die AfD geredet werden dürfe. Das ist schlichtweg falsch.« Der Verfassungsschutz stufe die Bundes-AfD sowie den AfD-Landesverband Baden-Württemberg als rechtsextreme Verdachtsfälle ein. »Es ist daher eine wichtige Aufgabe der Lehrkräfte, den Schülerinnen und Schülern zu erklären, wie es zu dieser Einstufung kam«, meint Brand. Lehrkräfte müssten darüber sprechen, was die AfD in Wirklichkeit will und warum sie so gefährlich ist. Schüler müssten lernen, was Rechtsextremismus bedeutet. »Und sie müssen lernen, was Demokratie bedeutet und woran man merkt, dass eine Demokratie in Gefahr ist«, so der Gewerkschafter.

Müssen zu Podiumsdiskussion an Schulen alle Parteien eingeladen werden?

Das Kultusministerium stellt hier klar: »Angesichts der Vielzahl der zu den Wahlen zugelassenen Parteien ist es nicht erforderlich, dass bei jeder Veranstaltung grundsätzlich alle in Betracht kommenden politischen Parteien berücksichtigt werden.« Sofern bei der Einladung der Kandidaten aber eine Auswahl getroffen werde, habe sich diese »an der Bedeutung« der Partei zu orientieren.

Das würde aber bedeuten, dass eine Partei, wie die AfD, allein aufgrund ihrer Größe im baden-württembergischen Landtag bei einer Podiumsdiskussion mit mehreren Parteien vertreten sein müsste. Matthias Schneider von der GEW sieht das anders: »Bei Veranstaltungen mit Parteien an Schulen gibt es keine Verpflichtung, dass alle Parteien vertreten sein müssen.« Die Entscheidung darüber liege allein bei den betreffenden Schulen, deren Schülern und der dortigen Elternvertretung. (GEA)