Einem Experten zufolge bleiben nach einem schweren Gewaltverbrechen nur wenige Jugendliche wegen fehlender Reife straffrei. »Die meisten jungen Menschen sehen und spüren das Unrecht bei schweren Gewalttaten«, sagte Jugendpsychiater Marc Allroggen. Der Leitende Oberarzt an der Institutsambulanz und Forensik der Uniklinik Ulm begutachtet regelmäßig Jugendliche nach Straftaten. »Schon Grundschüler wissen in der Regel, dass es verboten ist, jemanden mit einer Waffe zu verletzen.«
Ein 15 Jahre alter Schüler wird in Offenburg verdächtigt, vor mehr als einer Woche einen Gleichaltrigen in einer sonderpädagogischen Schule erschossen zu haben. Der tatverdächtige Deutsche sitzt seither wegen des Verdachts auf Totschlag in Untersuchungshaft. Der Angriff soll sich in der 9. Klasse des Tatverdächtigen abgespielt haben. Der 15-jährige Schüler soll in sein Klassenzimmer gekommen sein und seinem Mitschüler mit einer Handfeuerwaffe in den Hinterkopf geschossen haben.
Die Frage nach der Strafreife ziele auf den Entwicklungsstand des Beschuldigten ab, sagte der Experte. Konkret gehe es dabei um die Frage nach Entwicklungsverzögerungen und wie sie sich auf die Begehung der Tat ausgewirkt haben. Bei der Schuldfähigkeit müsse man wie im Erwachsenenstrafrecht herausfinden, ob eine psychische Erkrankung vorliege. Begutachtet werde in Gesprächen mit dem Beschuldigten oder über andere Informationsquellen - auch mit den Eltern werde unter Umständen gesprochen.
Festgemacht werde die Strafreife etwa am Nachtatverhalten. »Gab es Schuldgefühle oder Scham?«, so Allroggen. Dies seien Hinweise dafür, dass dem mutmaßlichen Täter das Unrecht bewusst gewesen sei. Umgekehrt heiße es aber nicht, dass die Schuldeinsicht fehle, wenn beides nicht vorhanden sei. Letztlich müsse die Einsichtsfähigkeit bestehen, dass die Handlung sozial nicht akzeptabel gewesen sei und durch die Rechtsordnung nicht geduldet werde.
Betrachtet werde auch das soziale Umfeld, die Beziehung zu den Eltern, das Auftreten im Alltag, das Alter der Freunde. Die Entwicklung von Jugendlichen verlaufe nicht homogen und linear. Deshalb sei ein genauer Blick auf die Persönlichkeit erforderlich.
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