Achtklässler in Baden-Württemberg haben während der Pandemiejahre bei den Englischkenntnissen enorm aufgeholt, sind in ihren Deutschfähigkeiten aber deutlich abgesackt. Das ist das Ergebnis der jüngsten Vergleichsarbeiten (VERA) für die achten Klassen, die seit dem Schuljahr 2015/2016 verpflichtend in Baden-Württemberg durchgeführt werden. Im Fach Deutsch wurden dabei die gleichen Testhefte eingesetzt wie im Jahr 2020, wie das Kultusministerium am Freitag mitteilte: »Hier ergibt sich ein Lernrückstand, der etwa einem Drittel des Schuljahres entspricht.« In Englisch wiederum haben die Achtklässler heute einen Vorsprung von mehr als einem halben Schuljahr gegenüber den Schülerinnen und Schülern von 2020. Das Ministerium fügt hinzu: Die Ergebnisse könnten durch eine neue Zusammensetzung der Klassen verzerrt werden.
Die VERA-Arbeiten in den Fächern Deutsch, Mathematik sowie der ersten Fremdsprache sollen zeigen, inwieweit die Schülerinnen und Schüler die Bildungsstandards schon erreichen. Sie sind nicht wie Pisa als Vergleichsstudie angelegt, sondern sollen Lehrern Rückmeldung geben, welche Schüler wo vor dem Abschluss noch Nachholbedarf haben.
32 Prozent der Achtklässler erreichten den neuen Ergebnissen zufolge die Mindeststandards in Mathematik für den mittleren Schulabschluss noch nicht, 19 Prozent erreichten diese Standards in Orthografie nicht und 13 Prozent im Lesen. »Die VERA-Ergebnisse zeigen einmal mehr auf, dass wir Nachholbedarf haben, was die Vermittlung von Basiskompetenzen angeht«, betonte Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne). »Zudem zeigt sich, dass bei uns der Bildungserfolg noch zu sehr von der Herkunft abhängt.« Rückschlüsse von den Ergebnissen auf die Schulschließungen während der Corona-Zeit seien schwierig, betonte das Ministerium.
Schopper kündigte ein Programm für dieses Jahr an, um die Basiskompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu stärken. Zudem habe man im Haushalt Mittel angemeldet, um die Bildungsgerechtigkeit zu verbessern, so Schopper - etwa durch den Einsatz multiprofessioneller Teams an Grundschulen, wo etwa Sozialarbeiter mithelfen.
Die Schüler an den Gemeinschaftsschulen schnitten deutlich schlechter ab als die jeweils direkt vergleichbaren Schüler an den Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen, sagte Ralf Scholl vom Philologenverband. Seit 2012 werde in Baden-Württemberg intensiv in den Ausbau der Gemeinschaftsschulen investiert, während an den anderen Schulformen gespart werde. Daher könne es nicht verwundern, dass Baden-Württemberg im Länderranking bei der Bildung immer weiter zurückfalle.
Die SPD moniert angesichts der Ergebnisse eine »mangelnde Basiskompetenz« der grün-schwarzen Landesregierung. »Diese Ergebnisse sind ein weiterer Fingerzeig an die Landesregierung, jetzt konsequent gegenzusteuern und die Notrufe aus den Schulen endlich ernst zu nehmen«, sagte der bildungspolitische Sprecher der Fraktion, Stefan Fulst-Blei. Der Anspruch der Kultusministerin und die Wirklichkeit an den Schulen klafften weit auseinander.
Die FDP spricht von einer weiteren »Hiobsbotschaft für die Bildungssituation im Land« - und einem »traurigen Beweis für die völlige Überforderung von Grün-Schwarz, was die Qualität der baden-württembergischen Bildungspolitik angeht.« Seit der Regierungsübernahme von Winfried Kretschmann (Grüne) gehe es mit der Bildungspolitik in diesem Land nur abwärts, kritisierte der bildungspolitische Sprecher der Fraktion, Timm Kern. Als eine Ursache sieht er eine Mischung aus klaren Fehlentscheidungen wie die Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung. Wichtige Planungen wie etwa ein Personalentwicklungskonzept würden zudem unterlassen.
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