STUTTGART. Nach tagelangem Gezerre ist der Streit in der grün-schwarzen Koalition über die Abstandsregeln in den Schulen bei der Rückkehr der 5. und 6. Klassen entschieden. Es wird wie von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) vorgesehen »kein förmliches Abstandsgebot« gelten. Allerdings sollen die Schulen dafür sorgen, dass die Kinder von Montag an - wenn möglich - beim Präsenzunterricht den coronabedingten Abstand von eineinhalb Metern einhalten.
Kultusministerium und Staatsministerium bestätigten am Donnerstag in Stuttgart der dpa, dass die tagelange Diskussion darüber zwischen Eisenmann und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) beendet sei. Kretschmann hatte bis zuletzt darauf gedrungen, dass die Unterstufe nur zurückkehren könne, wenn überall Abstand eingehalten werde. Sollte dies nicht möglich sein, müsse auch Wechselunterricht in Betracht gezogen werden.
Eisenmann, die auch CDU-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl am Sonntag ist, hatte keinen »Änderungsbedarf« gesehen und erklärt, die Schulen sollten - wenn möglich - größere Räume nutzen oder die Klassen auf zwei Unterrichtsräume aufteilen. Die in der Regierung am Wochenende abgestimmte neue Corona-Verordnung hatte ihr dafür den Spielraum gegeben. Bei Lehrerverbänden war dies auf Proteste gestoßen, weil viele Schulen dies aus ihrer Sicht nicht bewerkstelligen können.
Regierungssprecher Rudi Hoogvliet sagte am Donnerstag: »Die Ministerin hat uns zugesichert, dass der Abstand im Präsenzunterricht eingehalten werden kann durch entsprechende Organisation vor Ort. Darauf müssen wir uns verlassen.« Eisenmanns Sprecher Nils Mayer betonte, »dass die vorgegebenen Regeln für den Präsenzunterricht in den Klassen 5 und 6 pragmatisch umgesetzt werden«. Die Grundschulen gehen am Montag ebenfalls in den Regelbetrieb zurück.
Eisenmann hatte sich zuletzt vehement gegen einen Wechsel aus Präsenz- und Fernunterricht ausgesprochen. Hintergrund dafür ist, dass dieser noch aufwendiger zu organisieren sei und es wieder Notbetreuung geben müsse, die zu einer Durchmischung der Klassen führen würde.
Allerdings gab es da bei der Ministerin zwischendurch einen Sinneswandel. Anfang März hatte sie noch vor der Bund-Länder-Runde zur Corona-Politik für die 5. und 6. Klassen Wechselunterricht vorgeschlagen. Damals hatte sie in einem Brief an Kretschmann, der der dpa vorliegt, geschrieben: »Im Wechselbetrieb können die Klassen gut geteilt werden, da genug Räume zur Verfügung stehen. Dabei soll darauf geachtet werden, dass dann nicht mehr als 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler gleichzeitig im Präsenzunterricht sind.«
Die oppositionelle SPD reagierte mit Kritik: »Es ist erschütternd, wie sich Herr Kretschmann von Eisenmann am Nasenring durch die Manege ziehen lässt«, sagte Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch der dpa. »Eisenmann zieht ihren Kurs, bei der Infektionsschutz an den Schulen keine Rolle spielt, gnadenlos durch.« Das sei beunruhigend, weil derzeit jeden Tag neue Corona-Ausbrüche in Kitas und Schulen bekannt würden.
Die Landeschefin der Bildungsgewerkschaft GEW, Monika Stein, schrieb in einem Brief an alle 4500 Schulleitungen im Land, die Landesregierung trage den Wahlkampf auf dem Rücken der Betroffenen aus. »Wenn in vier Tagen am Montag ganze Grundschulen geöffnet werden und ganze Klassen stundenlang ohne Schutz in vollen Klassenzimmern sitzen, werden Kinder und Lehrkräfte dadurch derzeit unkalkulierbaren Gefahren ausgesetzt.« Die Testkapazitäten würden zwar aufgebaut. »Wir wissen aber, dass sie am Montag nicht an allen 2400 Grundschulen und gut 2000 weiterführenden Schulen funktionieren werden«, sagte Stein.
Die Kultusministerin hat zuletzt immer wieder darauf verwiesen, dass es im Südwesten keine Präsenzpflicht an den Schulen gibt. »Niemand muss sein Kind schicken, sondern es kann zu Hause bleiben und hat dann Schulpflicht, die durch Fernunterricht geregelt wird«, hatte Eisenmann erklärt. In den Klassen müssen Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler im Übrigen Masken tragen. Das Ministerium geht davon aus, dass die meisten Schüler sowieso medizinische Masken tragen, weil sie diese auch in Bussen und Bahnen brauchen.
Die Regierung hatte sich vorher schon darauf verständigt, dass die Kinder und deren Eltern wie auch die Lehrerinnen und Lehrer zweimal die Woche kostenlos getestet werden können. Von diesem Montag an bis zu den Osterferien sollen sich die Eltern darum kümmern, dass ihre Kinder sich bei Apotheken, Hausärzten oder kommunalen Anlaufstellen und mobilen Testzentren auf das Coronavirus testen lassen. Erst nach den Ferien solle es in allen Städten und Gemeinden kommunale Angebote - ob an Schulen oder in der Nähe - geben. Die Osterferien beginnen am 1. April, am 12. April müssen die Kinder wieder zur Schule.
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