RIEDLINGEN. Dichter Nebel hängt über dem Donautal bei Riedlingen, Raben haben sich auf der weiten Ackerfläche niedergelassen. Schemenhaft ist der sechs Kilometer entfernte Bussen am Horizont zu erkennen. Die passende morbide Stimmung für eine Grabschändung.
Auf einem Acker nahe der Landesstraße nach Pflummern haben Archäologen eine Grabkammer aus frühkeltischer Zeit freigelegt. Sie liegt im Zentrum eines riesigen Grabhügels, der einen Durchmesser von 65 Meter hat, aber heute statt sechs nur noch zwei Meter hoch ist. Er gehört in die Reihe der berühmten »Fürstengrabhügel«, in denen die Kelten Südwestdeutschlands in der Zeit zwischen 620 und 450 vor Christus ihre Eliten begraben haben.
Einmalig in Mitteleuropa
Landesarchäologe Prof. Dr. Dirk Krausse sprach am gestigen Freitag bei der öffentlichen Präsentation des Fundes von einer »kleinen Sensation«. Denn es ist das erste Mal in Mitteleuropa, dass eine komplett erhaltene hölzerne Grabkammer geborgen werden kann. Nur einmal erst war das gelungen, als 1890 am sagenumwobenen Magdalenenberg bei Villingen der größte hallstattzeitliche Holzfund Europas gelang. Damals jedoch schlecht dokumentiert und konserviert.
»Wir stießen völlig unerwartet nur knapp 70 Zentimeter unter der Oberfläche auf die sehr massiven Eichenhölzer einer 3,40 x 4,05 Meter breiten und einen Meter hohen Kammer. Der Befund ist einzigartig, denn unter normalen Bedingungen erhält sich Holz im Boden nur wenige Jahre.« Die Erhaltung ist den moorigen Bedingungen der Donauebene zu verdanken.
Herausragende Bedeutung, so der Präsident des Landesdenkmalamt Prof. Dr. Claus Wolf, komme auch der Tatsache zu, dass sich das Grab durch die Jahrringchronologie genau datieren lassen wird, obwohl es einer Epoche angehört, aus der keinerlei schriftliche Quellen vorliegen. Ein keulenartiges Holzartefakt, welches die Erbauer nach der Errichtung der Kammer zurückgelassen haben, konnte bereits ins Jahr 585 vor Christus datiert werden. Damit wäre die Bestattung nur zwei Jahre älter als das 2010 unterhalb der Heuneburg in einer Blockbergung gehobene Grab der Keltenfürstin vom Bettelbühl (583 v. Chr.) und fällt wie dieses in die Blütezeit der Heuneburg-Elite.
Der Grabhügel liegt 7 Kilometer von der Heuneburg entfernt, dem historisch genannten »Stadtstaat« Pyrene – der als ältester historisch erwähnter Ort Mitteleuropas mit mehreren Tausend Bewohnern auf einer Akropolis, einer Vorburg und einer großen Außensiedlung gilt. Rings um dieses Zentrum am Beginn der schiffbaren Donau zeugen rund neunzig, teilweise noch imposant aufragende Grabhügel von einer untergegangenen Kultur. Sie erinnern an das Pharaonenreich im ägyptische Tal der Könige, das ebenfalls – am Nil – an einer Lebensader liegt. »Offenbar wechselten sich der landschaftsprägende Bussen und die Heuneburg seit der Bronzezeit als überregionale Machtzentren ab«, so Wolf.
Die Grabmonumente, darunter das mit 13 Meter Höhe höchste Keltengrab Europas, führen vor Augen, dass am Südrand der Alb, von Ennetach über die Alteburg Langenenslingen, Upflamör und Althayingen zwischen dem 7. und 5. Jahrhundert vor Christus das wichtigste frühkeltische Macht- und Wirtschaftszentrum nördlich der Alpen lag.
Antike Grabausräumer am Werk
Angesicht der Erhaltung der Kammer ist es fast schon zweitrangig, dass die Archäologen auf ein merkwürdigerweise fast völlig leeres, »besenreines« Grab gestoßen sind. Grabungsleiter Dr. Roberto Tarpini erläuterte, dass bisher keine Beiwertvollen Materialien gefunden wurden. »Allerdings ist die Freilegung des Kammerbodens erst Ende November abgeschlossen, sodass noch Objekte in den Bodenritzen zum Vorschein kommen können.« Bei den Grabungen sind zwei Tunnel entdeckt worden, die beide zur Süd-Ost-Ecke der Grabkammer führen. »Es hat den Anschein, als ob Grabräuber hier gründlich am Werk waren, aber wir müssen auch an die Möglichkeit einer Umbettung denken, wie wir sie aus dem Mittelalter kennen«, so Krausse.
»Zahlreiche Bronzeziernägel, die sich in einem der Tunnel fanden, bestätigen die Vermutung, dass die Grabkammer ursprünglich reiche Beigaben enthielt. Darunter mehrere Eisennägel, die wohl von einem vierrädrigen Wagen«, so Fundkoordinator Dr. Leif Hansen.
Wer hier bestattet worden war, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Die Grabholzkammer wird drei Jahre lang konserviert und soll museal augestellt werden. Bisher wurden mehrere gut erhaltene Knochen eines menschlichen Skeletts geborgen. Nach einer ersten Au-topsie stammen sie von einem 15 bis 20 Jahre alten und zwischen 160 und 168 Zentimeter großen jungen Mann.
Dicht unter der Oberfläche am Rand des Grabmonuments wurde außerdem das partiell erhaltene Skelett eines um 500 vor Christus verstorbenen 25 bis 35 Jahre alten Mannes freigelegt. Eine von vielen weiteren vermuteten Nachbestattungen. An Beigaben enthielt dieses Grab zwei Gewandspangen aus Bronze sowie einen kleinen Bergkristall. Dass sich nach dem Tod einer mächtigen Persönlichkeit weitere priviligierte Personen nachbestatten lassen, zeigt die Totengemeinschaft vom Magdalenenberg, wo acht Großfamilien über drei Generationen eine Totengemeinschaft bildeten. Dort waren die 136 Gräber in Form von Sternenbilder angeordnet, gesetzte Stangen dienten einem Kalenderwerk für die Mondwenderfassung. Krausse: »Wir haben hier auch Hinweise auf Stangensetzungen. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.« (GEA)