Die Geschichte klingt fast ein bisschen erfunden, so pfiffig ist sie. Aber Jürgen Sundermann hat mehrfach versichert, dass sie sich genau so zugetragen hat. Und sie passte zu ihm, diesem so lebenslustigen Fußballer und Trainer. Die Geschichte handelt davon, wie er in den 1960er Jahren als Spieler von Hertha BSC seine Frau Monika kennenlernte. Monika Nehls, wie sie damals noch hieß, stand einmal mit ihrem Karmann Ghia Cabrio neben dem Fußballplatz. Der technisch beschlagene Sundermann sah sie, fing sofort Feuer - und zirkelte den Ball in hohem Bogen hinter die Sitze des roten Flitzers.
»Da musste ich den Ball natürlich wieder holen und schon waren wir im Gespräch.« Mit seiner Monika, die später Assistentin von Hans Rosenthal in der TV-Show »Dalli-Dalli« wurde, war er dann mehr als ein halbes Jahrhundert verheiratet.
Kontaktfreudig, direkt - und stets um gute Laune bemüht. So wie damals in Berlin war der frühere Erfolgstrainer des VfB Stuttgart fast sein ganzes Leben lang - und so wird ihn der deutsche Fußball in Erinnerung behalten. Am Dienstag ist Sundermann im Alter von 82 Jahren gestorben. Das teilte der VfB am Mittwoch mit.
»Jürgen Sundermann hat für den VfB Stuttgart Großes geleistet und dabei stets Menschlichkeit und Optimismus miteinander vereint«, sagte VfB-Präsident Claus Vogt über die »Trainerlegende« der Schwaben. »Wir trauern mit seiner Witwe Monika und seinen Angehörigen.«
Seine beste Zeit als Trainer hatte Sundermann, der besonders auf seine Motivationskünste setzte, beim VfB zwischen 1976 und 1979. Die »Roten« führte er damals aus der 2. Liga zurück in die Bundesliga und dort zur Vize-Meisterschaft. Seitdem trug Sundermann in Stuttgart und darüber hinaus den Beinamen »Wundermann«.
Hurra-Fußball ließ er spielen - und die Fans kamen in Scharen ins Neckarstadion. Seine Spieler seien alles junge Leute mit einer »unheimlichen Motivation« gewesen, erklärte der in Mülheim an der Ruhr geborene Sundermann. »Die haben immer nur nach vorne gespielt.« Hinten hatte er die Förster-Brüder, im Mittelfeld den Spielmacher Hansi Müller, davor Dieter Hoeneß und Ottmar Hitzfeld.
Taktik und Gegneranalysen waren dagegen nicht sein Ding. »Das ist dann auch manchmal in die Hose gegangen«, räumte der frühere rechte Läufer von Viktoria Köln und Hertha BSC ein, der mit dem FC Basel zweimal Schweizer Meister wurde.
Seine Spieler ließen sich gerne von ihm antreiben, denn »Freude und Begeisterung war mir immer das Wichtigste.« Er habe die Elf »heiß gemacht, das war das Sundermann'sche Hochamt«, sagte einmal der 2015 gestorbene frühere VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder.
Er habe viel Glück im Leben gehabt, erzählte Sundermann häufig. Wenn da nur nicht der Tod seines zweiten Sohnes Leif 2019 gewesen wäre. Leif, ein Sportjournalist, sei alkoholkrank gewesen. »Das Schlimme war diese Hilflosigkeit«, erklärte Sundermann. »Mit zusehen zu müssen, wie sich der eigene Sohn selbst schadet.«
Bei Sundermann Senior bleiben vor allem die guten Erinnerungen. Auch Europameister Hansi Müller dachte gerne daran, wie es dem Trainer gelang, mit seiner menschlichen Art selbst die Ersatzspieler bei Laune zu halten. »Er hat allen das Gefühl geben, dass sie wichtig sind«, sagte Müller. Und Demut eingefordert. »Ihr habt euer Hobby zum Beruf gemacht, da könnt ihr dankbar sein«, habe er mal zu missmutigen Profis gesagt. Als Kind des Ruhrgebiets war Sundermann eine direkte Ansprache immer wichtig.
Später allerdings funktionierte das nicht mehr. Am Ende seines zweiten VfB-Engagements von 1980 bis 1982 wurde das Team nur Neunter. Und als er in der Endphase der verkorksten Saison 1994/95 noch einmal zurückkehrte, wirkte er auf das Team um Giovane Elber und Fredi Bobic wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten.
Zwar hatte er zwischenzeitlich die Hertha aus der Drittklassigkeit geholt, den VfB Leipzig in die Bundesliga und Sparta Prag zur tschechischen Meisterschaft geführt. Aber 1999, nach einem Engagement bei Vorwärts Steyr in Österreich, beendete Sundermann seine Karriere. Später arbeitete er noch als Talentscout des VfB und betrieb das »Fußball-Ausbildungs-Centrum (FAC) Jürgen Sundermann & Team«.
»Für mich gibt es nichts Schöneres, als meine Erfahrungen an junge Menschen weiterzugeben«, sagte er einmal. Dem Fußball wird er fehlen.
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