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Aktuell Versorgung

Den Heimen im Land geht die Puste aus

Die hohe Nachfrage nach Pflegeplätzen kann durch die dünne Personallage nicht mehr bedient werden

Rund 8.600 Fachkräfte werden in den kommenden Jahren aus den Pflegeberufen aussteigen. FOTO: SCHMIDT/DPA
Rund 8.600 Fachkräfte werden in den kommenden Jahren aus den Pflegeberufen aussteigen. FOTO: SCHMIDT/DPA
Rund 8.600 Fachkräfte werden in den kommenden Jahren aus den Pflegeberufen aussteigen. FOTO: SCHMIDT/DPA

KARLSRUHE/STUTTGART. Ein Mensch wird von einem Tag auf den anderen pflegebedürftig oder die Angehörigen können nicht mehr selbst pflegen. Ein Marathon beginnt. Einrichtungen abtelefonieren, sich auf die Warteliste setzen lassen, hoffen, warten. »Wir bekommen im Schnitt fünf Anfragen für einen Pflegeplatz pro Tag«, sagt Martin Leynar, Geschäftsführer des Diakoniezentrums Wertheim im Main-Tauber-Kreis. »Und wenn wir jemanden aufnehmen, dann sind die Angehörigen so dankbar, da sie teilweise schon seit Wochen nach einem Platz gesucht haben.« Die Nachfrage wächst, das Platzangebot kann wegen Personalmangels nicht mithalten. Die seit Jahren schwelende Pflegekrise werde ganz allmählich zu einer Katastrophe, sagt Manuela Striebel-Lugauer, die bei der Diakonie Baden die Abteilung Alter, Pflege und Gesundheit leitet.

»Wenn wir jemanden aufnehmen, sind die Angehörigen so dankbar«

Im März/April startete die Diakonie Baden eine Umfrage unter ihren Einrichtungen, darunter rund 110 stationäre Pflegeheime. Resultat: Bei rund 35 Prozent der Einrichtungen hätten seit Anfang Februar wegen Personalmangels Betten nicht belegt werden können – etwa in den Landkreisen Breisgau-Hochschwarzwald, Freiburg, Rhein-Neckar-Kreis und Heidelberg, Mannheim, Emmendingen und Karlsruhe, sagt Striebel-Lugauer. Auch wenn nicht alle Befragten geantwortet hätten, spiegele dies die aktuelle Lage. Die Caritas belegt nach Worten eines Sprechers einzelne Wohnbereiche nicht mehr – damit es nicht, wie Ende letzten Jahres in Glottertal – auch wegen Personalmangels zu weiteren Schließungen von Heimen kommt.

»Wir hören von Menschen, die richtig verzweifelt sind«, sagt eine Sprecherin der Evangelischen Heimstiftung in Stuttgart. Dringliche Anrufe kämen vor allem von den Sozialdiensten in den Kliniken, die Pflegebedürftige aus dem Krankenhaus eigentlich in eine gesicherte Versorgung entlassen müssen und verzweifelt nach einem freien Platz herumtelefonierten. Von pflegenden Angehörigen kämen vor allem montags, nach einem anstrengenden Wochenende, vermehrt Anfragen, die man längst nicht mehr bedienen könne.

Das weiß auch Gabriele Hönes, Leiterin der Abteilung Gesundheit, Alter, Pflege beim Diakonischen Werk Württemberg. Nach ihrer Erfahrung wird immer mehr auf die Angehörigen abgewälzt. »Tagespflege und Betreuungsgruppen werden abgebaut«, sagt sie. »Damit fällt die Entlastung für Pflegende weg – und je mehr das passiert, desto kürzer halten Angehörige bei der Pflege durch.« Ein Teufelskreis, sagt Hönes. Bei der Diakonie Baden hätten der Frühjahrsumfrage zufolge 60 Prozent der ambulanten Pflegeeinrichtungen, die Menschen zu Hause versorgen und so Angehörige entlasten, neue Kunden ablehnen müssen, sagt Striebel-Lugauer. Laut Hönes ist seit Anfang des Jahres zwar nur ein Pflegeheim geschlossen worden. »Allerdings werden in zunehmend mehr Pflegeheimen einzelne Betten nicht mehr oder nach Freiwerden nur verzögert belegt«, sagt sie. Es gebe auch Träger, die wegen der hohen Kosten keine Leiharbeitskräfte mehr einsetzten, was zu Personalengpässen führe. Nicht belegte Plätze wiederum können zu finanziellen Schieflagen in den Einrichtungen führen.

»Einzelne Betten werden nach dem Freiwerden nicht mehr belegt«

Das Sozialministerium arbeitet nach Worten eines Sprechers mit aller Kraft an Lösungen für den Personalmangel. So fördere das Ministerium kommunale Pflegekonferenzen und wolle die Zahl der Kurzzeitpflegeplätze erhöhen. 14 Projekte zur Tages- und Kurzzeitpflege würden mit rund 6,2 Millionen Euro gefördert. Damit würden in sechs Tagespflegeeinrichtungen sowie einem weiteren Projekt 15 Kurzzeit-Pflegeplätze und 123 Plätze in der Tagespflege entstehen.

Laut Pflegestatistik 2021 des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg gab es im Dezember 2021 etwas mehr als 2.000 stationäre Pflegeeinrichtungen mit insgesamt knapp 110.000 Plätzen. Fast 99.000 davon waren vollstationäre Dauerpflegeplätze. Wie viele Plätze aktuell fehlen – man weiß es nicht genau. Es gebe dazu keine Statistiken, sagt ein Ministeriumssprecher. Was man weiß: Rund 8.600 Pflegekräfte werden in den nächsten Jahren aus dem Beruf aussteigen – weil sie selbst in Rente gehen. Das wird den Mangel weiter verschärfen. Schon jetzt schlage sich dies massiv in der pflegerischen Versorgung nieder, berichtet der Gemeindetag. (dpa)