STUTTGART/ALTSHAUSEN. Mit ihm wird vielleicht ein letztes Mal der Glaube an eine Monarchie in diesem Land zu Grabe respektive Gruft getragen. Carl Herzog von Württemberg, gestorben mit 85 im Krankenhaus Ravensburg und nicht zuhause im Deutschordensschloss Altshausen, das seine Vorgänger nach Schluss des Römischen Reiches Deutscher Nation vor zweihundert Jahren in Besitz genommen haben, war zeitlebens so frei, die Bereitschaft mitzuteilen, König zu sein, »wenn man mich ruft«.
Als Anwärter für den vor 104 Jahren abgesägten Thron hat er sich immer gesehen. Das ist Grundsatz, wenn Kronen die persönliche Umgebung illustrieren – auf Bildern, Möbeln, Wäsche, Schmuck, Briefumschlägen. Auch im Schloss Friedrichshafen, wo sich im Sommer der bescheidene vierte und letzte Monarch des Landes gern aufgehalten hat, König Wilhelm II., ohne männlichen Nachfolger knapp drei Jahre nach Abdankung 1918 in seinem Exil Bebenhausen gestorben, begraben auf dem Friedhof in Ludwigsburg.
Napoleon Bonaparte, dem radikalen Neuordner Europas, haben die Württemberger den Aufstieg vom Herzog zum Kurfürsten und die Königskrone zu verdanken, auch den Friedrichshafener Besitz, der ihnen blieb, auch wenn sie nach Reformen der Neuzeit viele Schlösser verloren haben. Das Priorat Hofen am Bodenseeufer gehörte dem Benediktinerkloster Weingarten, Nassau löste den Kloster-Ableger 1802 auf, die königlichen-herzoglichen Württemberger nutzen die Gebäude der Mönche seit 1824 als Schloss.
Königs Ur-Urenkelin
Carl Maria Peter Ferdinand Philipp Albrecht Joseph Michael Pius Konrad Robert Ulrich, bis zu seinem Tod am 7. Juni 2022 an der Spitze der Gesamtfamilie Württemberg, wurde hier am 1. August 1936 geboren. Sein jetziger Nachfolger in dieser Position ist der noch nicht 30-jährige Enkel Wilhelm Friedrich Carl Philipp Albrecht Nikolaus Erich Maria, geboren am 13. August 1994 in Ravensburg, der erste Repräsentant mit einer bürgerlichen Großmutter.
Sein Vater Friedrich, bei sechs Kindern Carls der Älteste, ist am 9. Mai 2018 auf der Fahrt nach Altshausen mit seinem Porsche tödlich verunglückt. Mit der Ehe mit der knapp 20-jährigen Marie zu Wied hatte Friedrich am 11. (Standesamt) und 13. November 1993 (Schlosskirche Altshausen) Wichtiges für die Familiengeschichte geleistet: Sie hat als Ur-Urenkelin des letzten Königs von Württemberg die nicht blutsverwandte katholische Seitenlinie mit der protestantischen königlichen verknüpft.
Katholische Linie
Denn Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich ein Problem abgezeichnet, weil der König in Stuttgart keinen Nachfolger hatte. Doch familiäre Breite gab’s genug und Paris und Wien spielen in dieser Vorgeschichte entscheidend mit. Hauptdarsteller: Friedrichs in Wien geborener Urgroßvater Albrecht, nach dem Jurastudium in Tübingen mit Margarete Sophie von Österreich aus der großen kaiserlich-königlichen Sippe Habsburg verheiratet, residierte als Thronfolger Württemberg seit den 1890er Jahren im Stuttgarter Kronprinzenpalais. Beste Herkunft. Der in Frankreich geborener Vater war Philipp von Württemberg. Dessen Eltern allerdings katholisch: Herzog Alexander von Württemberg und Marie Christine von Orléans.

Die Mutter starb 1839, als Albrecht sechs Monate alt war. So wurde er am Pariser Hof seiner Großeltern erzogen, bei Frankreichs König Louis Philippe und Amélie, in Neapel geboren als Maria Amalia von Neapel-Sizilien, die Eltern Bourbon und Habsburg. Louis Philippe stürzte in der bürgerlichen Revolution 1848, zog sich ins englische Exil zurück. Charles-Louis-Napoléon Bonaparte rückte auf, erst Staatspräsident und 1852 als Kaiser Napoleon III. bis zur Absetzung nach dem bei Sedan verlorenen deutsch-französischen Krieg 1870 und der Neugeburt der Republik Frankreich.
Verzicht nicht anerkannt
Das 1 000 Jahre alte Heilige Römische Reich gab es schon über hundert Jahre nicht mehr, als die nächste große Revolution am 8./9. November 1918 in Deutschland, Österreich und anderen Ländern radikal Schluss machte mit Monarchie und Adels-Privilegien. Auch in Stuttgart. Einen Nachfolger aus gleicher Linie gab es bis dahin so oder so nicht.
Denn als Wilhelm II. noch nicht König war, starb sein Sohn Ulrich ein halbes Jahr nach der Geburt 1880, im April 1882 seine sehr geliebte Frau Marie, geborene Prinzessin zu Waldeck und Pyrmont, nach dem tot geborenen dritten Kind. Ihm blieb einzig das 1877 geborene Kind, Pauline. Er wurde 1891 Regent nach seinem kinderlos gebliebenen schwulen Onkel Karl.

Der in Frankreich groß gewordene katholische Albrecht war im Ersten Weltkrieg »einer der fähigsten Heerführer«. Oberbefehlshaber an der Westfront, von Verdun bis zur Schweizer Grenze. Der Kaiser Wilhelm II. machte ihn zum preußischen Generalfeldmarschall und zeichnete ihn aus mit dem Orden Pour le Mérite samt Eichenlaub. Als Ersatzmann für den Thron in Stuttgart kam er der Novemberrevolution wegen nicht mehr zum Zug. Den Thronverzicht des Königs vom 30. November 1918 hat er jedoch nicht anerkannt.
Er zog 1919 als Witwer mit drei Söhnen und vier Töchtern in das vom letzten König geschenkte ehemalige Deutschordensschloss im oberschwäbischen Altshausen, vierzig Kilometer vor dem Bodensee, bekam 1921 das gesamte Hausvermögen, heute als Wirtschaftsunternehmen »Hofkammer des Hauses Württemberg«. Auch sein Sohn Philipp II. Albrecht, in Tübingen zum Dr. iur promoviert, zum König erzogen und Monarchist, anerkannte den Thronverzicht zeitlebens nicht, war wie sein Vater in Opposition gegenüber den Nationalsozialsten.
Einschneidende Regeln
Der Nächste: Carl, fünftes Kind und zweiter Sohn Philipp Albrechts. Genauso Monarchist. Der 1975 in Ravensburg gestorbene Vater war bis zu deren Tod 1924 bei der Geburt des ersten Kindes mit Helene von Österreich verheiratet und seit 1928 mit deren Schwester, Rosa von Österreich. Vor Carls Antritt wurden einschneidende interne Regeln in Kraft gesetzt. Viel später, in der nächsten Generation für die Ausnahme Marie zu Wied mit der königlichen Ur-Urgroßmutter und der Kölner bürgerlichen Mutter, wurde aber anders entschieden.

In der alten Gültigkeit trafen sie jedoch Philipp Albrechts ältesten Sohn Ludwig: 1960 Eheschließung unter seinem Rang mit einer Freiin von und zu Bodman, 1972 mit einer Bürgerlichen. Vier Kinder. Innenarchitekt in der Nähe von München. Er starb Oktober 2019 mit 88 Jahren in Weingarten. Das Ende seiner hochrangigen Adels- und Familien- und Erb-Existenz hatte Ludwig Württemberg am 29. Juni 1959 und 19. Januar 1960 zu besiegeln. Er verzichtete gemäß damaligem Hausgesetz für sich und seine Nachkommen »auf etwaige Thronrechte und Mitgliedschaft im ehemals königlichen Haus Württemberg«.
Dynamische Impulse
Stattdessen also Carl. Abitur Riedlingen, Jurastudium Tübingen. Habsburg-Wien-gefärbte Sprache. Aufmerksamer Zuhörer. Zurückhaltend. Sehr schmal bei der Hochzeit am 21. Juli 1960 in Altshausen mit Diane von Orléans. Später von beachtlichem Format, aber auch krank. Sechs Kinder. Kindeskinder. Bei den Schwiegertöchtern ist seit 2006 mit Julia Storz, der Frau seines jüngsten Sohnes Michael, eine Stuttgarter Juristin.
Diane, am 24. März 1940 in Petropolis in Brasilien geboren, Eltern: Henri d» Orléans und Isabelle d«Orléans-Bragance. Eine über Jahrzehnte sich ständig in Aussehen und künstlerischer Arbeit verändernde illustre, lebensoffene, dynamische Frau. Sie signiert mit »Herzogin von Württemberg, Prinzessin von Frankreich«. Spricht mit französischem Akzent. In fast 62 Jahren Ehe hat sie ihre Fähigkeiten ausgespielt, auch international. Hat den Schlosspark in Altshausen mit ihren Bronze-Skulpturen gefüllt. Stiftungen für Kunst, Jugend, Denkmalschutz und Kinder gegründet und die immens gewachsene eigene Familie gern präsentiert.
Seit 2010 ist sie Mitglied der französischen Ehrenlegion, ein Verdienstorden, der auf den jungen Napoleon Bonaparte zurückgeht, und Ehrendoktorin der Staatlichen Universität St. Petersburg. Baden-Württemberg hat sie 2011 mit dem Verdienstorden des Landes ausgezeichnet. Auf ihrer Homepage ( https://ddiane.de) gibt sie weiter: »Was sie anfasst, wird zu Kunst. Herzogin Diane von Württemberg pflegt den spirituellen Umgang mit Technik, Material – und Mensch. Das Schaffen DxDianes ist stets von dem Versuch geprägt, der menschlichen Existenz auf den Grund zu gehen und ihr ein Ebenbild zu geben.«
Kulturförderer
Carl, »ein deutscher Unternehmer und 1975 Oberhaupt des Hauses Württemberg«, rund 5 500 Hektar Wald, 2 000 Hektar Wiesen und Äcker, 50 Hektar Weinberge, etwa 700 Grundstücke im In- und Ausland, Wälder in Kanada und Österreich sowie Firmenbeteiligungen, dazu seit 1981 das Weingut Herzog von Württemberg auf der Domäne Schloss Monrepos und 70 Kulturdenkmäler im eigenen Besitz. Er hat die Universität Tübingen und Schulen gefördert, war Komtur des »Päpstlichen Ritterordens des heiligen Gregors des Großen«, Ehrenpräsidet des Cannstatter Volksfest-Vereins und enger Freund des abgedankten spanischen Königs Juan Carlos I., hat sich kulturell und sozial engagiert. 2008 machte ihn die römisch-katholische Privatuniversität Vallendar in Rheinland-Pfalz zum Ehrendoktor.
Die Anrede »Königliche Hoheit«, abgekürzt SKH, in der über hundert Jahre alt gewordenen Republik nur Höflichkeitsgeste, war für ihn so selbstverständlich wie das leutselige »Herzog Carl«. Ebenso selbstverständlich für ihn auch der Unterschied: »Meine Familie hat dem Land den Namen gegeben, nicht umgekehrt«.
Schlüsselfigur Pauline
Des letzten Regenten Wilhelm II. einzig gebliebenes Kind, die königliche Prinzessin Pauline von Württemberg, hatte 1898 mit 21 Jahren den Erbprinzen zu Wied geheiratet. Er verwandt mit Nassau, Niederlande, Preußen, genauso wie sie mit England, Frankreich, Rußland, Habsburg und anderen europäischen Dynastien. Er folgte dem Vater 1907 in der Residenz am Rhein bei Koblenz als sechster Fürst zu Wied. Zwei Söhne. Sechs Enkel. Zwei Weltkriege. Republik statt Monarchie. Bomben, Fliegerangriffe, ukrainische Zwangsarbeiterinnen als Hauspersonal im Schloss und im schützenden Keller und deren dankbare Erinnerung an die Fürstin.

Nationalsozialismus
Paulines Sympathie für den Nationalsozialismus ging über das Kriegsende hinaus. Auch sie vom Schicksal verletzt: Schon vor seinem Vater 1945, ihrem »innigstgeliebten Mann«, war im Zweiten Weltkrieg der ältere Sohn Hermann gestorben. Der zweite, Dietrich, managte für sie in Stuttgart und Neuwied. Pauline kehrte als Witwe nach Württemberg zurück. Nach Ludwigsburg, wo ihre Eltern in der gekauften Villa gelebt hatten, die der verliebte Thronfolger seiner Frau wegen »Marienwahl« genannt hatte. Dort ist die Pferdezüchterin, die ihre Vollblutaraber seit Wilhelm I. von Württemberg dem Staatsgestüt Marbach geschenkt hat und lieber Traber auf die Rennbahn schickte, 1965 in einem der beiden Kavaliershäuser gestorben. Sie wurde 87, trotz außergewöhnlicher Fülle schon als junge Frau. Der Lieblingsenkel lernte, dass die Familie sie »großer dicker Max« nannte. Die massive, lebhafte Fürstin, tiefe Altstimme, trug Männerkleidung und Rot-Kreuz-Kluft, trank Cognac, rauchte Zigarren. Sie bretterte im Einspänner durch Ludwigsburg, schrieb ihre Memoiren mit dem Titel »Vom Leben gelernt«, brachte in ihrem Besitz in Bebenhausen die Ex-Reichsfrauenschaftsführerin inkognito unter, wurde als Nazi-Mitläuferin zu hoher Geldstrafe verurteilt.
Der dritte Wilhelm
Pauline lebte in Marienwahl mit ihrer treuen Krankenschwester bis zum Tod, ließ sich auf der Pferdekoppel beerdigen, die Stalltüren öffnen und die Pferde über ihr Grab galoppieren.Zwei Söhne also. Vom zweiten, Dietrich mit Ehefrau Antoinette Gräfin Grote, und wiederum dessen zweitem Sohn, Ulrich, verheiratet mit der Kölnerin Ilke Fischer, stammt Marie, die Ur-Ur-Enkelin, die Witwe Württemberg in Friedrichshafen. Geboren am 27. Dezember 1973 in München. Die drei Kinder: Wilhelm, Marie-Amélie und Sophie-Dorothée, hat sie zwischen 1994 und 1997 jeweils in Ravensburg zur Welt gebracht.
Wilhelm Friedrich Carl Philipp Albrecht Nikolaus Erich Maria Herzog von Württemberg, der dritte Wilhelm aus der königlichen Linie, im weltweiten Netz wie der hochadlige Großvater bezeichnet als »deutscher Unternehmer und seit 2022 Oberhaupt des Hauses Württemberg«, ist jetzt von Amts wegen zuhause in Friedrichshafen auch »Obercommodore des Württembergischen Yacht-Clubs«. Prinz und Prinzessin zu Wied, die beiden anderen Großeltern, leben nicht mehr. (GEA)


