Die Cannabis-Pläne der Bundesregierung lösen im Südwesten Sorgen aus. Diese betreffen in der deutsch-französischen Grenzregion die neuen Cannabis-Vereine - sogenannte Social-Clubs -, sagte der Kehler Oberbürgermeister Wolfram Britz der Deutschen Presse-Agentur. »Wir werden im Grenzraum dann mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine hohe Anzahl an solchen - in Frankreich nicht erlaubten - Social-Clubs bekommen.«
Kehl liegt unweit von Straßburg direkt an der deutsch-französischen Grenze. Es kommen bereits viele Menschen aus Frankreich über den Rhein, um beispielsweise Spielhallen aufzusuchen und Zigaretten zu kaufen.
Das Konzept der Ampel-Koalition sieht vor, dass in Deutschland der Besitz von maximal 25 Gramm Cannabis und der Eigenanbau von höchstens drei Pflanzen straffrei sein sollen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) hatten die Pläne am Mittwoch vorgestellt. »Nicht-gewinnorientierte« Vereine mit maximal 500 Mitgliedern dürfen gemeinschaftlich Cannabis zu Genusszwecken anbauen und nur an Mitglieder für den Eigenkonsum abgeben. Die Gesetzgebung soll noch im April starten.
»Wir im grenzüberschreitenden Lebensraum Straßburg-Kehl sind zunächst erleichtert, dass es keinen freien Cannabis-Verkauf in lizenzierten Läden geben soll«, sagte der parteilose Britz. »Ich bin auch dafür, dass Cannabis nicht kriminalisiert wird, das brauchen wir nicht.« Er dringe aber generell darauf, bei neuen Gesetzen mögliche Folgen für Grenzregionen direkt zu berücksichtigen.
Auch im Südwesten kam Kritik aus der CDU an den Berliner Plänen. Statt einer verstärkten staatlichen Kontrolle solle es nun eine »Privatisierung des Konsums« geben, bemängelte der CDU-Landtagsabgeordnete Stefan Teufel laut einer Mitteilung. Die Risiken würden steigen - Teufel nannte in diesem Zusammenhang die Möglichkeit zum Eigenanbau, großzügigere Besitzgrenzen und die »Einrichtung von Hinterzimmer-Clubs«.
Die oppositionelle FDP im Stuttgarter Landtag verteidigte hingegen den Vorstoß der Berliner Minister. Ziel müsse aber bleiben, den Drogenkonsum zu reduzieren, erklärte Vizefraktionschef Jochen Haußmann. Der AfD im Landtag zufolge wird es künftig kaum möglich sein, den illegalen Verkauf von dann legalisiertem Cannabis zu verhindern: »Für die Grenzregionen ist diese Entscheidung fatal.« Die Grünen erklärten mit Blick auf die Einwände von Bürgermeister Britz, es gebe in der deutsch-französischen Zusammenarbeit Instrumente und Praktiken, um Lösungen für Grenzregionen zu finden.
Das Nachbarland Schweiz ist unterdessen bei der Legalisierung schon einen Schritt weiter. So gibt es in der Grenzstadt Basel und weiteren Städten Pilotversuche zum Verkauf von Cannabis für Genusszwecke. Apotheken dürfen in Basel aber nur an die eingeschriebenen rund 370 Teilnehmer verkaufen. Deshalb ist Einkaufstourismus aus dem Ausland nicht möglich. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet.
Das Programm »Weed Care« läuft seit Ende Januar. Die Studienteilnehmer können in neun Apotheken in der Stadt Cannabisprodukte mit verschiedenen Stärken des Rausch auslösenden Bestandteils THC kaufen. Untersucht wird, ob sie ihren Konsum ändern.
In der Schweiz kommt es bei der Legalität von Cannabis auf den THC-Gehalt und die Menge an. Produkte mit einem Gehalt von unter einem Prozent sind generell legal, als Blüten oder Duftöle, Cremes und Salben. Diese Produkte werden in Supermärkten oder an Kiosks verkauft. Produkte mit über einem Prozent THC sind zwar verboten und der Konsum kann mit der Buße von 100 Franken (knapp 102 Euro) belegt werden. Aber der Besitz von bis zu zehn Gramm für den eigenen Konsum ist nicht strafbar.
Die badische Grenzstadt Kehl ist auch über die Cannabis-Legalisierung hinaus von unterschiedlichen Regelungen in Deutschland und Frankreich direkt betroffen. Die Kommune mit rund 38.000 Bewohnern habe eine Dichte von Geldspielautomaten, die ihresgleichen suche, sagte Rathauschef Britz. In Frankreich sind Automaten dieser Art nur in bestimmten Spielcasinos erlaubt.
»Wir haben auch unterschiedliche Bedingungen beim Tabakverkauf. Wir decken da einen Bedarf aus Straßburg.« Britz sagte weiter: »Wir sind ein Mikrolabor für Europa. Was bei uns im Ballungsraum Kehl-Straßburg funktioniert, kann auch in anderen Grenzlagen in Europa praktiziert werden, wenn die Menschen es wollen.«
Bundesamt für Gesundheit über Pilotprojekte
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