BODMAN. Dieses Mal begrüßt Peter Lenk den Reporter mit der linken Hand. Der Bildhauer und Satiriker musste eine Schulter-OP über sich ergehen lassen, die freilich gut verlaufen ist. Nun kann er wieder darüber scherzen, er erzählt dem Besucher die Details der Narkose. Der medizinische Eingriff hat die Arbeit an seinem neuesten Werk nicht verzögert, denn es steht so gut wie fertig in der Werkstatt von Peter Lenk in Bodman am Bodensee. Dieser Tage gewährte er einen ersten Blick auf das voluminöse und anspruchsvolle Werk. Es behandelt nicht mehr und nicht weniger wie eines der wichtigsten Ereignisse der Geschichte im deutschen Südwesten – den Bauernkrieg in den Jahren 1524/1525.
Schauplatz der Rebellion
Der Raum Böblingen gehört neben dem Hegau, dem Breisgau und Oberschwaben zu den wichtigen Schauplätzen dieser Rebellion des kleinen Mannes. Dort fand eine wichtige, eine blutige Schlacht zwischen Rittern und Bauern statt, die mit einer katastrophalen Niederlage der Landbevölkerung endete. Die Stadt Böblingen wollte dieses Ereignis würdigen und gab deshalb eine große Skulptur in Auftrag. »Der ganze Gemeinderat hat sich für mich und meinen Entwurf ausgesprochen«, berichtet Lenk erfreut. Das war vor zwei Jahren, und zwei Jahre hat er benötigt, um das wie gewohnt figurenreiche Werk zu beenden.
»Ich habe erst einmal viel dazu gelesen«, berichtet der 77-jährige Künstler. Er vertiefte sich in Chroniken, betrachtete Zinsverzeichnisse und nahm die Akteure von damals unter die Lupe. Hier die Bauern, die ihre alten »Freyheiten« zurückwollen – dort der Adel und die hohe Geistlichkeit, die an ihren Privilegien festhalten. Dieses Mal schuf Lenk keine vollplastischen Figuren, sondern Reliefs, die etwa fünf Meter hoch sind. Fünf solche fein bearbeiteten Tafeln fügt er zu einer fünfeckigen Säule zusammen, die von einer Krone nach oben abgeschlossen wird. Darauf triumphiert Georg von Waldburg, genannt der Bauernjörg als einzige plastische Figur.
Widerstand erfuhr er dieses Mal nicht, doch rechnet er sehr wohl damit, dass die Familie von Waldburg-Zeil mit dem Denkmal nicht einverstanden sein wird. Denn ihr Vorfahr Georg von Waldburg war es, der die Rebellion des kleinen Mannes maßgeblich niederwarf. »Das war ein Kriegsverbrecher«, kommentiert Lenk das militärische Wirken des Bauernjörg.
Großer und parteiischer Erzähler
Wieder erweist sich Lenk als großer und eindeutig parteiischer Erzähler. Seine Figuren sind klar gezeichnet, sie zeigen ihre Gefühle wie Gier, Hass oder Mordlust in aller Deutlichkeit. »Mir geht es um die Gesichter«, sagt Lenk und zeigt auf die Köpfe der Bauern, die einen adligen Herrn vor ihre Spieße trieben und umbringen. »Das ist das Lachen der Täter«, entfährt es dem Künstler. Er hat sich im Vorfeld seiner Arbeit das große Panorama von Werner Tübke angesehen, das dieser DDR-Künstler dem Bauernkrieg widmete (1987). Tübkes Bilderbogen spricht ihn nicht an. Die Gesichter sind ihm zu brav. Für Böblingen schuf er satirische überzeichnete Menschen, deren Gefühle in jeder Faser ablesbar sind.
Auf den fünf Tafeln nimmt er sich fünf verschiedene Erzählstränge vor. Eine Tafel bildet die Hinrichtung eines Grafen durch die Bauern ab, eine zweite die grausame Hinrichtung des Bauern Jäcklein Rohrbach durch Feuer (»Grillen«). Eine dritte Reliefplatte regt am ehesten zum Schmunzeln an – sie illustriert die Todstünde der Völlerei: An einem langen Tisch sitzen vor allem Geistliche, die es sich gutgehen lassen. Auf dem Tisch stehen Leckerbissen aller Art, die Männer greifen gierig zu, ohne Rücksicht auf ihre Kutten und schönen Stoffe.
Martin Luther und Katharina von Bora
Die vierte Tafel präsentiert ein prominentes Paar dieses verrückten 16. Jahrhunderts: Martin Luther und seine spätere Frau Katharina von Bora. Die beiden werden gerade von einem geistlichen Mitbruder getraut. »Ohne Luther hätte es keinen Bauernkrieg gegeben«, sagt Lenk. Schon aus diesem Grund musste der Reformator unbedingt ins Bild. Das erweist sich als ein geschickter Zug, denn dadurch wird das blutige Geschehen in Böblingen als Teil im Zeitalter der Umbrüche deutlich. An Luther hat er lange gearbeitet, berichtet Lenk. Gesichtszüge und Statur des Mannes sind sehr gut getroffen, die Hände kräftig naturalistisch ausgearbeitet. Auch auf dieser protestantischen Tafel geht es nicht ohne Seitenhiebe vonstatten: Nicht nur die blutjunge Katharina heiratet einen Pfarrer; zahlreiche andere und ältere Nonnen sehen sich eifrig auf dem Lenkschen Heiratsmarkt um und freuen sich zahnlos, dass sie einen Gatten einfangen können. Die fünfte und letzte Tafel zeigt die entscheidende Schlacht bei Böblingen; die Bauern laufen auf einen riesigen Ritterhelm zu, der sie verschlingt. Das Herr ist ein reines Männerheer, wie es auch den historischen Tatsachen entspricht. Doch hat der Bildhauer eine Amazone mit bloßen Brüsten in den Männerhaufen geschleust. Mit wehendem langem Haar und offenem Mund rennt auch sie in ihr Verderben.
Bis auf kleine Details ist das Werk fertiggestellt. Es soll einmal zehn Meter hoch werden, wenn es nach Böblingen transportiert und dort aufgebaut wird. Stichtag dürfte der 12. Mai sein: an diesem Tag jährt sich der blutige Zusammenprall zwischen Herren und Bauern zum 500. Mal. Peter Lenk hält seine Arbeit bisher unter Verschluss. Der Gemeinderat von Böblingen durfte die fünf Reliefs bereits in Bodman besichtigen. »Sie waren zufrieden«, so der Bildhauer. Viele Fragen seien gestellt worden, vor allem zu den Figuren auf diesem anspruchsvollen Wimmelbild. Das Honorar ist längst fixiert: 350.000 Euro wird ihm die Stadt überweisen.
Figuren in Stuttgart wieder abgebaut
Für den Satiriker vom Bodensee bedeutet der Erfolg in Böblingen auch Genugtuung. Nachdem er in Stuttgart mit seinem Beitrag zum Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21« nicht landen konnte und seine Figuren wieder abbauen musste, rollen ihm die Böblinger parteiübergreifend einen roten Teppich aus. »Die Böblinger bezahlen, was die Stuttgarter umsonst bekommen hätten«, entfährt es ihm. Die Ansage ist klar: Auch im Mercedes-Land ist Lenk bald angekommen sein. Die Bauern bahnen ihm mit Dreschflegeln und Sensen den Weg. (GEA)