STUTTGART. Vor 21 Jahren kaufte die Landeshauptstadt große innerstädtische Gleisgrundstücke von der Deutschen Bahn AG. Sie sollten mit der Inbetriebnahme des Projekts Stuttgart 21 – ursprünglich für Ende 2014 geplant – für den Wohnungsbau zur Verfügung stehen. Der Fertigstellungstermin des neuen Tiefbahnhofs wurde mehrfach verschoben, eine weitere Durststrecke deutet sich an. Inzwischen fließen hohe Verzugszinsen an die Stadt.
Lange hatte der Gemeinderat der Bahn AG Zinszahlungen für die Grundstücke erlassen, zuletzt versuchte der Schienenkonzern 2020, den Obolus streitig zu stellen, setzte sich aber nicht durch. Die Stadt verhandelte damals die Modalitäten für die Übergabe der Flächen. Nun wird sie selbst die Gleise abräumen. Die Wartezeit bis zum Wohnungsbau soll so gekürzt werden.
24,5 Millionen Euro jeweils für 2024 und 2025
2022 und 2023 flossen zum ersten Mal erkleckliche Beträge in den Stadthaushalt. Für 2021 und 2022 waren es nach Angaben von Bahn und Stadt 8,4 Millionen Euro, im vergangenen Jahr bereits 16,1 Millionen Euro. Der starke Anstieg der Summe resultiert aus der Vereinbarung auf einen variablen Zins. Die steigenden Zinsen treiben die Kosten für die Bahn nach oben. Bliebe der Zinsrutsch aus, könnten in diesem Jahr 30 Millionen Euro fällig werden. Die Stadt kalkuliert vorsichtig und rechnet 2024 und 2025 mit jeweils 24,5 Millionen Euro.
Bei der Bahn drückt die Summe nicht auf das S-21-Budget. Die Zinsen werden, so ein Bahnsprecher, über den Betrieb der Infrastruktur gedeckt. Verzinst wird nicht mehr der komplette Kaufpreis, weil 14 Prozent aller Flächen an die Kommune übergeben worden seien.
Im schlimmsten Fall 2030 Inbetriebnahme
Das Leistungsentgelt könnte noch etliche Jahre fließen. Die Bahn nennt für Stuttgart 21 als Inbetriebnahmezeitpunkt den Fahrplanwechsel im Dezember 2025. Im Konzern ist aber für das Gesamtsystem S 21 inzwischen mit größerer Wahrscheinlichkeit von Dezember 2027 und, im schlimmsten Fall, von Dezember 2030 die Rede. Gefeiert werden soll die Inbetriebnahme 2025 im achtgleisigen Durchgangsbahnhof wohl dennoch. Analog zur symbolischen Prellbockanhebung zum Baustart im Februar 2010 denkt man an eine prominent besetzte Zugfahrt durch den Halt. Anschließend würden wohl zunächst die ICE nach München auf zwei Gleisen durchrollen. Das würde einen Parallelbetrieb von Durchgangs- und Kopfbahnhof bedeuten. Die Wegeführung und -länge würde für die Bahnreisenden damit nicht einfacher. Als größtes Hemmnis einer rechtzeitigen Komplettinbetriebnahme gelten nicht mehr nur die Verzögerungen am alten Bonatzbau, Abstell- und Flughafenbahnhof. Schwierigkeiten be-reitet die komplett digitalisierte Steuerung des Bahnknotens, ein bundesweites Pilotprojekt. Die Bahn verspricht damit mehr Züge auf gleicher Infrastruktur. Im Knoten Stuttgart sollen schrittweise 500 Netzkilometer auf die Steuerung mit digitalen Stellwerken und 450 Fahrzeuge umgebaut werden. Letzter Schritt wäre der 470 Millionen Euro teure Digitalausbau bis zu den Endhaltestellen der S-Bahn. Die jüngsten Sparbeschlüsse der Bundesregierung nach dem Grundsatzurteil zur Schuldenbremse könnten diesen Ausbau akut gefährden.
Drei Verlängerungsoptionen
Die Projektgesellschaft für Stuttgart 21 hat für das Thema aktuell einen Rahmenvertrag Projektmanagement ausgeschrieben. Auffällig sind die Termine. Neben dem Abschluss Ende 2025 gibt es drei Verlängerungsoptionen, die die Bahn ziehen kann. Sie umfassen jeweils zwei Jahre, das Projektmanagement könnte also auch bis Ende 2027, Ende 2029 und Ende 2031 laufen.
Die Frage nach der Wahrscheinlichkeit für die genannten Optionen und nach der ersten in den Regelbetrieb gehenden Strecke beantwortete das S-21-Projektbüro nicht. Die Managementleistungen könne die Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU) »für all ihre Projekte in Anspruch nehmen«, teilt sie mit. Die PSU steuert auch die Ausschreibungen für den Pfaffensteigtunnel zwischen Flughafen und Böblingen. (GEA)