STUTTGART. Die Baustelle an der Stresemannstraße auf dem Stuttgarter Killesberg mutet auf den ersten Blick wie eine ganze normale Belagssanierung an. Doch dahinter verbirgt sich ein einzigartiges Experiment, denn zum ersten Mal wird in Deutschland eine ganze Straße mit einem neuen umweltfreundlichen Asphalt gebaut. Normalerweise wird das nötige Bindemittel Bitumen aus Rohöl gewonnen – in diesem Fall stammt es aber aus den Schalen von Cashewkernen.
»Der Asphalt ist sehr viel umweltbewusster und auch deutlich langlebiger«, erklärt Gründer und Geschäftsführer Frank Albrecht von der Firma b2 Square – Bitumen beyond Oil. Er muss es wissen: Jahrelang war er bei einer großen Mineralölfirma für deren Bitumengeschäft verantwortlich. In diesem Zusammenhang kam Albrecht bereits vor mehr als zehn Jahren die Idee, das Rohöl durch ein anderes Bindemittel zu ersetzen. Die Lösung: die Schalen von Cashewkernen.
Bitumen wird als Bindemittel beim Asphalt benötigt, der die verschiedenen Kiessorten verbindet und aushärtet. Nur so wird dieser fest genug, damit Autos und Lastwagen darüber rollen können. Bis jetzt wird Bitumen ausschließlich als Nebenprodukt bei der Rohölindustrie gewonnen. Das ist zum einen nicht umweltfreundlich, des Weiteren ist »die Qualität sehr schwankend«.
Das vor wenigen Jahren gegründete Unternehmen hat mit seinem Verfahren nun einen Weg gefunden, ein bewusstes Zielprodukt in einer gleichbleibenden kontrollierten Qualität zu gewinnen. Dafür werden die Schalen und Kerne zunächst voneinander getrennt. Die Cashewkerne gehen als Nuss-Snack in den Handel, aus den Hülsen wird die Flüssigkeit filtriert, welche zusammen mit einem Pulver zum neuen Straßenbelag vermischt wird – dem Bioasphalt.
Bislang befindet sich die neue Technik noch in der Versuchsphase. Es wurden kleinere Flächen in Südtirol oder in Bremen verlegt. Doch das Interesse an dem Start-up aus dem beschaulichen Meerbusch bei Düsseldorf wächst stetig. Demnächst kommt der »Cashew-Asphalt« am Flughafen Frankfurt und am Londoner Flughafen Heathrow zum Einsatz, und auch eines der größten Bauunternehmen Japans führe bereits seit längerer Zeit Tests durch.
Doppelt so teuer wie normal
Zunächst wird aber erstmals eine komplette Straße asphaltiert – in Stuttgart. Es bedürfe immer eines mutigen Auftraggebers, um eine so innovative Lösung »auch wirklich auf die Straße zu bringen«, erklärt Jürgen Mutz, der Leiter des Stuttgarter Tiefbauamts. Insofern übernehme man gerne die Vorreiterrolle als erste Kommune in Deutschland. Grundsätzlich sei man in Stuttgart immer auf der Suche nach umweltfreundlichen Baustoffen, die CO2 einsparen, um das selbst gesteckte Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2035 zu erreichen.
Dafür nimmt die Stadt viel Geld in die Hand. Rund doppelt so viel wie ein herkömmlicher Straßenbelag kostet der umweltfreundliche Asphalt pro Quadratmeter. Doch für Mutz liegen die Vorteile auf der Hand: »Die Schalen der Cashewkerne sind kein Nahrungsmittel und können auch nicht als Tierfutter verwendet werden. Es ist ein reines Abfallprodukt, wir nehmen also niemandem etwas weg.«
Zudem könne der Asphalt durch die besondere Beschaffenheit des Materials kälter transportiert und eingebaut werden. »Das spart zusätzliche Energie.« Und auch die Mitarbeiter an den Asphaltiermaschinen seien dadurch weniger Hitze und Dämpfen ausgesetzt, was mehr Sicherheit bringt. »Der Asphalt riecht aber nicht nach Nuss«, betont Mutz lachend.
Die Wahl der Verwaltung fiel dabei bewusst auf die Stresemannstraße am Killesberg. Weniger aus Gründen eines »Vorzeigeprojekts« direkt neben dem Höhenpark, als vielmehr das neue Produkt auf der viel befahrenen Verbindung »auch auf Herz und Nieren testen zu können«, erklärt Mutz. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt zudem von der Technischen Hochschule Stuttgart, der das Start-up zudem weitere Materialproben zur Verfügung gestellt hat.
In der Regel würden ein neuer Straßenbelag – je nach Belastung – im Schnitt zwischen 15 und 20 Jahre lang halten. »Bislang sieht der Belag sehr gut aus«, weiß der erfahrene Bauamtsleiter. Ob dies auf Dauer so bleibe, müsse man dann über die kommenden Jahre ermitteln. Die Ergebnisse sollen dann zeigen, ob die Nutzung des neuen Bioasphalts aus Cashewkernen vielleicht zum Standard beim Straßenbau in der Landeshauptstadt werden könnte. (GEA)