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Archäologie auf Abruf: Rettungsgrabungen im Südwesten

Wenn Baufirmen anfangen in die Tiefe zu graben, hat auch die Archäologie ein Wort mitzureden. Mit Rettungsgrabungen sichern die Experten geschichtliche Funde, die sonst im Abraum verloren gehen würden.

Rettungsgrabungen
Blick auf Skelette aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. sowie Grabbeigaben aus dem Neolithikum an einer Ausgrabungsstelle im Bereich eines Neubaugebiets. Foto: Silas Stein/DPA
Blick auf Skelette aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. sowie Grabbeigaben aus dem Neolithikum an einer Ausgrabungsstelle im Bereich eines Neubaugebiets.
Foto: Silas Stein/DPA

Die Zahl der sogenannten Rettungsgrabungen in Baden-Württemberg ist laut dem Landesarchäologen Dirk Krausse seit Jahren hoch. Im vergangenen Jahr seien die Experten 114 Male ausgerückt, um potenziell wichtige geschichtliche Funde zu sichern - etwa aus Baugruben, erläuterte Krausse. Bis zur zweiten Septemberwoche 2023 waren es demnach ebenfalls bereits 85.

Dass Archäologen – wie es der Begriff »Rettung« vermuten lässt – spontan ausrücken müssen und ein Bauprojekt gestoppt wird, sei jedoch selten. »Wir bemühen uns eigentlich, Baumaßnahmen nicht zu stoppen«, so der Wächter über die archäologischen Denkmäler im Südwesten. Inzwischen werde die Archäologie bereits im Vorfeld berücksichtigt. Seinen Worten nach prüfen die Expertinnen und Experten also bereits vor dem Beginn eines Projektes ob im Boden Funde versteckt sind und sichern diese.

Wenngleich die Maßnahmen in der Zahl in den letzten Jahren recht stabil waren, gab es laut Krausse in der Mitte der 10er-Jahre eine merkliche Zunahme. Krausse sieht hier unter anderem den Trend zu stärkeren Verdichtungen in der Wohnbebauung als Ursache. »Dadurch ist viel in alten Siedlungszentren geplant und gebaut worden.« Trotzdem werde rund die Hälfte der Funde bei Rettungsgrabungen weiterhin auch in den Randlagen, beispielsweise bei der Neuausweisung von Gewerbegebieten, gemacht. Während in den Ortskernen laut dem Archäologen eher Funde aus der Zeit der Römer und dem Mittelalter gemacht werden, seien es in den Randlagen eher Denkmäler aus der Vor- und Frühgeschichte.

Dass Archäologen aber überhaupt hinzugezogen werden, wenn Bauunternehmen in der Erde auf Fundstücke stoßen, war ebenfalls nicht immer so: Mit der Konvention von Malta sei kurz vor der Jahrtausendwende in Europa das Prinzip verankert worden, dass Baufirmen für die Kosten von Rettungsgrabungen aufkommen müssen.
Je nach Region können daher auch Infrastrukturprojekte wie der Bau von Energietrassen oder Autobahnen Funde zu Tage fördern. Fruchtbare Lössgebiete wie um Stuttgart, im Taubertal und im Oberrheingraben seien schon früh und durchgängig besiedelt worden, »dort sind die Fundstellen im Boden sehr dicht, alle hundert Meter zum Teil« – in anderen Regionen wie der Schwäbischen Alb, dem Allgäu oder dem Schwarzwald sei die Dichte der Funde dagegen wesentlich geringer.

Wenn es zur Sache geht, unterscheide sich die moderne Archäologie auch gar nicht so sehr von dem, was noch zu Zeiten von Heinrich Schliemann üblich war. Der große Unterschied liegt dem Landesarchäologen nach dagegen bei der Vorab-Analyse: »Die Möglichkeit mit verschiedenen geophysikalischen Verfahren, wie Geomagnetik, Geoelektrik im Vorfeld in den Boden hineinzuschauen« gelinge in den allermeisten Fällen. Krausse vergleicht dies mit einem Röntgenbild des Untergrunds. Auch bei der Dokumentation der Funde seien heute seltener Block und Stift, sondern stattdessen Fotoapparat, Drohne und mit deren Hilfe errechnete 3D-Modelle an der Tagesordnung.

© dpa-infocom, dpa:231001-99-398671/2