Zwei der Angeklagten verstecken sich hinter Papierordnern, der dritte junge Mann lächelt in die Kameras und reckt den gefesselten Arm zum Victory-Gruß: Drei junge Männer stehen wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht Stuttgart. Die Tat wird der Gewaltserie zwischen zwei rivalisierenden Banden in der Region zugerechnet, die den Ermittlern seit vielen Monaten Rätsel aufgibt. Die drei Männer fuhren laut Anklage in einer Septembernacht 2023 zu einem Friseursalon in Reichenbach an der Fils, der wohl einem Mitglied der gegnerischen Bande gehörte.
Die Angeklagten, um die 20 Jahre alt und kräftig gebaut, schlugen den Vorwürfen zufolge mit einem Beil die Scheibe ein und warfen mehrere brennende Molotow-Cocktails in den Laden. Einer filmte das Geschehen. Ziel sei eine Provokation gewesen, sagte der Oberstaatsanwalt. Bei dem Brand entstand ein Schaden in Höhe von mehr als 16.000 Euro.
Im Friseursalon befand sich zwar zu dem Zeitpunkt niemand, aber darüber schliefen 15 Menschen in dem Wohn- und Geschäftsgebäude. Verletzt wurde niemand. Aber laut Oberstaatsanwalt nahmen die drei Männer den Tod der Bewohner in Kauf. Der Vorwurf lautet deshalb versuchter Mord in 15 Fällen.
Weitere Vorwürfe: Drogen und Waffenbesitz
Einem der jungen Männer wird zudem der Handel mit Kokain vorgeworfen, er soll außerdem gemeinsam mit einem der anderen beiden Angeklagten im Raum Schorndorf unerlaubt eine Maschinenpistole im Auto mitgeführt haben.
Die Angeklagten äußerten sich weder zur Person noch zu den Vorwürfen. Das Verfahren läuft vor der Jugendkammer. Rund eine halbe Stunde dauerte die Verhandlung am ersten Tag.
Mysteriöse Bandengewalt
Bei der Gewaltserie geht es um zwei regional zugehörige Gruppen, eine aus Esslingen und Ludwigsburg, die andere aus Göppingen und Stuttgart-Zuffenhausen. Seit mehr als zwei Jahren sorgt die blutige Fehde im Großraum Stuttgart für Schlagzeilen. Immer wieder fielen Schüsse. Nach einer früheren Schätzung des Landeskriminalamts sollen den Gruppen mehr als 500 junge Menschen angehören.
Zwei der nun Angeklagten wurden bereits verurteilt, dabei ging es um Rauschgift und Waffen. Die Motive hinter der Bandenkriminalität sind schwer fassbar, stellen die Ermittler weiterhin vor Rätsel. Der Oberstaatsanwalt sprach von »rivalisierenden, multiethnischen Gruppierungen«.
Der Präsident des Landeskriminalamts Andreas Stenger sagte vor wenigen Monaten, dass es sich nicht um familiäre Clans oder um klassische Bandenkriminalität handle. Vielmehr sei die Gewalt nach zumeist wechselseitigen Ehrverletzungen eskaliert, es gehe um territoriale Machtansprüche und das Motto »Crime as a Lifestyle« (»Verbrechen als Lebensstil«), mit dem sich viele in den Gruppen stark identifizierten. In den vergangenen Monaten nahm die Zahl der zumeist blutigen Zwischenfälle in der Fehde allerdings deutlich ab.
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