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Ökonom: Unternehmen haben Abhängigkeiten nicht reduziert

Das Wort »Diversifizierung« liest man seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine mindestens so oft in PR-Texten von Unternehmen wie zuvor das Wort »klimaneutral«. Doch so richtig in Gang kommen will die Reduktion von Abhängigkeiten einem Ökonomen zufolge noch nicht.

Deutsche Unternehmen haben ihr Abhängigkeiten von einzelnen Märkten einem Ökonomen zufolge auch ein Jahr nach der russischen Invasion in der Ukraine nicht nennenswert reduziert. Die frisch angekündigten Milliarden-Investitionen großer Konzerne wie Bosch oder BASF in China deuteten beispielsweise nicht auf einen Rückzug aus der Volksrepublik hin, sagte der amtierende Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Holger Görg, der Deutschen Presse-Agentur. »Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was man hört und was erzählt wird, und dem, was Unternehmen jetzt schon machen.« In den Daten sei von einer Diversifizierung noch nicht viel zu sehen.

Bosch hatte vor wenigen Wochen angekündigt, knapp eine Milliarde Euro in den kommenden zehn Jahren in ein Entwicklungszentrum im chinesischen Suzhou zu investieren. Laut Konzernchef Stefan Hartung produziert Bosch in der Volksrepublik zu 80 Prozent für den dortigen Markt. »Wir sind von dem Markt nicht dermaßen abhängig, dass wir die Produktion brauchen, um den Rest der Welt zu bedienen.« Bosch macht in China rund ein Fünftel seines Umsatzes, will aber auch in anderen Weltregionen seine Präsenz ausbauen.

Dass es generell mit der Abkehr von großen Einzelmärkten so schleppend laufe, könne daran liegen, dass strategische Entscheidungen angesichts der aktuellen Krisen aufgeschoben werden, so Görg. »Es kann aber natürlich auch daran liegen, dass die Probleme für die Einzelunternehmen doch nicht so groß sind, wie man annimmt.« Vielen Unternehmen sei mit der russischen Invasion aber klar geworden, dass sie ihre Abhängigkeiten und Lieferketten überdenken müssten. Risiken streuen, Produktion ein Stück weit wieder nach Europa holen, mehr selbst produzieren - das sei nun in aller Munde.

Es sei gut, dass für das Thema Versorgungssicherheit nun ein neues Bewusstsein entstanden sei, sagte auch Hartung. »Plötzlich müssen wir uns fragen: Moment, ist denn alles verfügbar - nicht nur technologisch, sondern auch bei den Rohstoffen? Haben wir genügend Kupfer? Haben wir genügend Aluminium? Haben wir genügend Nickel?« In der neuen geopolitischen Konstellation lasse sich im Zweifel nicht mehr so einfach Ersatz beschaffen.

© dpa-infocom, dpa:230221-99-674615/2