Im Fall einer neuen Zuspitzung der Corona-Lage im Herbst könnten Ärzte und Apotheker in Baden-Württemberg rund 810 000 Menschen pro Woche impfen. Das geht aus Zahlen des Landes und der Kommunen hervor, die der Deutschen Presse-Agentur und dem »Badischen Tagblatt« vorliegen. Ärzte und Apotheker wären nach diesen Berechnungen in der Lage, den Impfbedarf innerhalb von acht Wochen zu decken.
Die niedergelassenen Ärzte haben demnach signalisiert, im Regelbetrieb pro Woche etwa 550 000 Impfungen zu schaffen. In den Apotheken wären 195 000 möglich. Hinzu kommen noch die Privatärzte, die 53 000 Menschen innerhalb von sieben Tagen immunisieren könnten, und die Zahnärzte mit 12 000 Impfungen. In der vorläufigen Vereinbarung von Land und Kommunen zum Impfkonzept für den Herbst heißt es zudem: »Möglich erscheinen darüber hinaus rund 100 000 Impfungen durch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sowie große Betriebe.«
Die große Frage ist nun, ob das reicht, wenn es wegen einer neuen Welle oder einer zumindest denkbaren neuen Virusvariante wieder einen Ansturm auf die Praxen und Apotheken geben sollte. Das Land hat die Impfzentren zwar größtenteils geschlossen, behält es sich aber vor, sie bei Bedarf wieder zu öffnen. Der Bund rechne gegenwärtig mit einem bundesweiten Bedarf von rund 50 Millionen notwendigen Impfungen im Herbst 2022. Der Anteil von Baden-Württemberg läge somit bei etwa 6,5 Millionen Impfungen. Bei einer Impfkapazität von rund 810 000 Impfungen pro Woche könnte es Ärzten und Apothekern im Südwesten gelingen, in acht Wochen die meisten davon zu immunisieren.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte am Dienstag gesagt, man habe nicht vor, die Impfzentren im Herbst wieder zu öffnen. Das wurde aber gleich wieder eingeschränkt. Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) will dafür gewappnet sein, sollte es einen Run auf die Impfungen geben. Im dpa-Interview sagte er: »Sollte eine Situation eintreten, dass in einem kurzen Zeitraum plötzlich extrem hohe Mengen verimpft werden müssen, weil die Menschen sich boostern lassen möchten, eine neue, gefährlichere Virusvariante auftritt oder der neue, an Omikron angepasste Impfstoff vorliegt, möchte ich parat sein.« Das schließe auch die Wiedereröffnung von Impfzentren ein. Die Kommunen sind wegen der hohen Kosten eigentlich dagegen.
Mittlerweile sind in Baden-Württemberg rund 8,2 Millionen Menschen zweimal geimpft, das sind 74,5 Prozent. Geboostert sind knapp 7,2 Millionen Menschen im Südwesten - das sind fast 65 Prozent.
Das Land hatte Anfang April das Impfangebot wegen fehlender Nachfrage zumindest bis Herbst reduziert. Statt der etwa 350 mobilen Impfteams und 135 Impfstützpunkten sollte es jeweils nur noch bis zu einem Team und einem Stützpunkt in allen 44 Stadt- und Landkreisen geben. So sei es möglich, flexibel zu reagieren, etwa wenn sich die Pandemie wegen einer neuen Virusvariante erneut dramatisch zuspitzen sollte. Das gilt auch weiterhin. Wenn ein Kreis sagt, er braucht diese Struktur momentan nicht, muss er den Stützpunkt nicht betreiben. Er müsse aber in der Lage sein, ihn innerhalb einer Woche wieder zu betreiben, erklärte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums.
Zur Erinnerung: Das Land hatte wegen des weitgehenden Leerlaufs im letzten Sommer und Herbst die Impfzentren mit großen Kapazitäten zugesperrt und auf mobile Teams umgestellt. Doch dann kam in der vierten Corona-Welle mit der Delta-Variante der hohe Bedarf an Booster-Impfungen. In den Kreisen wurden ab November Impfstützpunkte aufgebaut, um der Nachfrage nach Auffrischungsimpfungen nachkommen zu können. Mit dem Abbau des Großteils der bisherigen Teams und Stützpunkte ab April will die Regierung auch die enormen Kosten drücken. Die im Winter aufgebaute Struktur hat das Land dem Vernehmen nach mehr als eine halbe Milliarde Euro gekostet.
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