Niedergelassene Ärzte haben am Mittwoch mit der Schließung ihrer Praxen gegen die geplante Rücknahme der sogenannten Neupatientenregelung protestiert. Gegen die Streichung von Extrahonoraren für die Behandlung neuer Patienten hätten sich Mediziner aus 300 Praxen gewandt, sagte der Vize-Landeschef des Ärzteverbundes Medi, Norbert Smetak. »Die Patienten werden weniger schnell Termine bekommen und länger warten müssen.« Betroffen seien vor allem die Facharztpraxen. Die Abschaffung der erst 2019 eingeführten Regelung soll nach dem Willen der Bundesregierung zum Ausgleich eines Milliardenlochs bei den gesetzlichen Krankenversicherungen im kommenden Jahr beitragen.
Die AOK Baden-Württemberg hingegen weint der Regelung keine Träne nach. »Insgesamt lässt sich für uns feststellen, dass die Regelung zu einer erheblichen Mehrbelastung geführt hat, ohne dass sich die Versorgungssituation der Menschen vor Ort tatsächlich verbessert hätte«, sagte der Chef der größten gesetzlichen Krankenkasse im Land, Johannes Bauernfeind. In Baden-Württemberg sei ohnehin kein gravierendes Problem bei den Wartezeiten für Neupatienten festzustellen. Grund sei vor allem die erfolgreiche Hausarztzentrierte Versorgung, die eine schnelle Terminvergabe bei Fachärzten erlaube.
Zwischen Main und Bodensee gibt es nach Angaben von Smetak 16.500 niedergelassene Ärzte, von denen rund 5000 bei Medi organisiert seien. Der Kardiologe aus Kirchheim Teck (Kreis Esslingen) befürchtet einen Stellenabbau bei medizinischen Fachangestellten, die bislang aus Mitteln der Neupatientenregelung finanziert worden seien. Pro Jahr fließen aus der Extra-Honorierung rund etwa 50 Millionen Euro in den Südwesten. Medi plant weitere Aktionen. Smetak zufolge will sich auch der Hausärzteverband an künftigen Praxisschließungen beteiligen.
Bauernfeind kann den Protest von Ärztinnen und Ärzten trotz aller Kritik an der von den Medizinern hochgelobten Neupatientenregelung nachvollziehen. »Auch sie werden durch eine höhere Inflation und steigenden Energiekosten belastet und jede Streichung führt zu finanziellen Spannungen.« Allerdings stelle sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. »Nun werden Arzttermine gestrichen und die gesundheitliche Versorgung der Menschen eingeschränkt, um finanzielle Forderungen durchzusetzen, die keinen nachweisbaren Nutzen für die Versicherte bringen.« Dem widersprach Smetak: »Die Regelung hat in vielen Fachbereichen, so auch bei uns Kardiologen, zu einer Verbesserung der Versorgung von Neupatienten geführt und damit sowohl die Hausärzte als auch Notfallambulanzen der Kliniken entlastet.«
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