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Aktuell Krieg

Kampf oder Frieden? Ukrainer in der Region im Zwiespalt

Holger Weiblen aus Metzingen kennt die Stimmungen in der Ukraine, er hat viele Kontakte ins Land. Wie er die Stimmung dort einschätzt und was eine nach Bad Urach geflüchtete junge Frau nun zu den Verhandlungen zwischen Trump und Putin sagt.

Ein Krater ist im Dorf Jasnohirka in der ostukrainischen Region Donezk vor Häusern zu sehen, die im Januar 2025 durch russischen
Ein Krater ist im Dorf Jasnohirka in der ostukrainischen Region Donezk vor Häusern zu sehen, die im Januar 2025 durch russischen Beschuss zerstört wurden. Dem Metzinger Holger Weiblen zufolge zieht es nur wenige Menschen zurück in die zerstörten Dörfer. Foto: Ukrinform/dpa/dpa
Ein Krater ist im Dorf Jasnohirka in der ostukrainischen Region Donezk vor Häusern zu sehen, die im Januar 2025 durch russischen Beschuss zerstört wurden. Dem Metzinger Holger Weiblen zufolge zieht es nur wenige Menschen zurück in die zerstörten Dörfer.
Foto: Ukrinform/dpa/dpa

METZINGEN. Während US-Präsident Donald Trump und der russische Präsident Wladimir Putin über Frieden in der Ukraine reden, sitzt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht am Tisch bei den Gesprächen in Saudi-Arabien. Er ist nicht eingeladen. Holger Weiblen, Koordinator der Städtepartnerschaft zwischen Metzingen, Bad Urach, Dettingen und Arzys in der Ukraine, kennt die Stimmung vor Ort und bei ukrainischen Flüchtlingen im Ermstal und in der Region. Er beschreibt zwei Strömungen: »Die Ukrainer, die sich hier integriert haben und nicht mehr zurückgehen möchten, sagen sich: Hauptsache, es gibt bald Frieden.« Die andere, eher patriotische Haltung sei, dass nichts anderes übrig bleibe, als weiterzukämpfen. »Wer die Härte des Krieges erlebt hat, hat die Kraft und den Willen, nicht um des Friedens willen aufzugeben«, sagt Weiblen.

Der Metzinger Jurist im Ruhestand und frühere Stadtrat reist seit 2002 in die Ukraine, hatte bereits beruflich dort zu tun und machte dort Urlaub mit dem Wohnmobil. Nun reist er mit Hilfstransporten ins Kriegsland. Die Partnerstadt Arzys liegt im Oblast Odessa im Süden des Landes. »Als ich zuletzt dort war, gab es in vier Tagen nur 15 Alarme, aber keine Einschläge. Das war ruhig. Das ist in Orten wie Cherson ganz anders.« Aus seinen Besuchen und seinen Verbindungen weiß er, dass Menschen, die keine Verwandten im Krieg verloren haben, die nicht von Kriegszerstörungen betroffen sind und nicht in der Armee, als Rettungskräfte oder ähnliches eingebunden sind, eine andere Meinung zum Frieden haben: »Bei ihnen ist die Hemmschwelle niedriger. Sie sind eher zum Frieden bereit.«

Seit 2014 schwelender Konflikt

Weiblen verweist auf die Annexion der Krim 2014 und die im selben Jahr von russischen Separatisten beanspruchten Volksrepubliken Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine. »Seit dem Jahr 2014 gab es keinen Tag in der Ukraine, an dem niemand in Konflikten gestorben ist.« Er geht davon aus, dass die Krim und ein Teil der Ostukraine auch nach einem Frieden zu Russland gehören werden. »Die Krim wird wohl deshalb besetzt bleiben, weil es dort Öl- und Gasvorkommen gibt.« Trump habe Interesse an seltenen Erden in der Ukraine. Für wichtig hält Weiblen, dass die Bürger frei wählen können, wo sie künftig leben wollen - in den dann womöglich russischen Landesteilen oder in der weiterhin existierenden Ukraine. Dann müssten Kriegsgefangene freigelassen werden und die 19.500 nach Russland deportierten Kinder zurückkehren. »Das sind fast so viele, wie Metzingen Einwohner hat. Das ist unvorstellbar.«

Darauf, dass Wolodymyr Selenskyj nicht mit am Verhandlungstisch sitzt, geht Weiblen auch ein: »Er ist natürlich sauer, hat sich aber dagegen entschieden, zeitgleich zu dem länger geplanten Besuch nach Saudi-Arabien zu reisen. Sonst hätte es so ausgesehen, dass Selenskyj von hinten angekrochen kommt, er aber nicht reingelassen wird.« Am Dienstag hat Weiblen den ukrainischen Präsidenten in der Talkshow Maischberger gesehen: »Er wirkte erstaunlich locker, hat gelacht und von seinem Sohn erzählt. Das spricht Bände.« Dabei sei die Situation in der Ukraine schlimm, sagt der Metzinger und verweist auf einen unvorstellbaren Stellungskrieg bei Cherson und Kinder, die in zerstörten Landschaften spielen. »Das zeigt deutlich, dass sich die Ukrainer nicht unterwerfen wollen.«

Hohe Treffsicherheit

Die ukrainische Armee sei gut aufgestellt. »Ich halte sie für die modernste und motivierteste Armee der Welt«, sagt Weiblen. Mittlerweile würden deutsche Rüstungsfirmen von der Armee lernen und dort Prototypen entwickeln. »Die ukrainische Armee hat super Drohnen mit einer hohen Treffsicherheit. Die treffen auf 1.200 Kilometer exakt einen Flughafen, eine Pipeline oder eine Raffinerie. Das schaffen die Russen nicht.«

Weiblen schätzt, dass die Ukraine Gebiete abtreten wird. Auch wenn Trump und Putin sich einigen würden. »Es ist egal, was die anerkennen. Selenskyj ist auch Jurist, er wird nicht alles hergeben, was er hergeben kann.« Wenn nun womögliche Gebiete wie Mariupol zu Russland gehören würden, könnten die Russen damit nicht viel anfangen. »In Dörfer, in denen früher 800 Einwohner gelebt haben, sind jetzt 100 zurückgekehrt. Um die Schäden zu beseitigen, damit sie da wieder richtig wohnen können, sind die 100 Einwohner zu wenig.« Außerdem seien die Felder vermint. »Damit können sie sicher 30 Jahre nichts anfangen.« So lange werde es dauern, die Minen zu entschärfen und die Infrastruktur wieder herzustellen.

Der Präsident fehlt am Tisch

Dass Präsident Selenskyj nicht am Verhandlungstisch sitzt, wundert die 23-jährige Valeriia aus der ukrainischen Stadt Odessa. Sie ist vor zwei Jahren mit ihrer Schwester geflohen und lebt jetzt in Bad Urach. Von dort hält sie Kontakt zu ihren Eltern in der Heimat und arbeitet in der Schule in Vorbereitungsklassen. »Ich hätte es mir nicht vorstellen können, dass es Verhandlungen ohne die Ukraine gibt. Schließlich geht es um unseren Staat.« Ihr tut es sehr leid, dass ihr Land überhaupt in diese Situation, also den Krieg, gekommen ist. Was einen wie auch immer ausgestalteten Frieden betrifft, ist sie skeptisch und begründet das mit Trumps Rhetorik. Valeriia stellt klar: »Andere Mächte verstehen unsere Situation nicht. Wir kämpfen gegen Russland.« (GEA)