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Aktuell Wiederaufbau

Die Kriegsfolgen sind in Reutlingen bis heute sichtbar

Viele Gebäude aus den Jahren nach dem Kriegsende sind in Reutlingen bis heute erhalten geblieben. Ein kleiner geschichtlicher Stadtrundgang führt zu wesentlichen Orten.

Hauptbahnhof und Bahnlinie waren immer wieder das Ziel von Bombenangriffen. Hier Schäden aus dem Jahr 1945. Foto: Stadtarchiv Reutlingen
Hauptbahnhof und Bahnlinie waren immer wieder das Ziel von Bombenangriffen. Hier Schäden aus dem Jahr 1945.
Foto: Stadtarchiv Reutlingen

Das Gesicht der Stadt vergisst nichts. Auch die Folgen der Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg lassen sich bis in die Gegenwart hinein besichtigen. Es sind Ende der 40er- oder Anfang der 50er-Jahre entstandene Neubauten, die alle folgenden Modernisierungswellen überstanden haben. Ein kleiner geschichtlicher Stadtrundgang beginnt am besten beim Bahnhof.

Äußerlich fast unverändert ist der Hauptbahnhof ein Zeitzeuge der Bombenangriffe, denn er war gemeinsam mit der Bahnlinie eines der Angriffsziele alliierter Bomber. Es gibt viele Fotos, die schwere Treffer zeigen, aber letztlich hat es die Ruine geschafft stehen zu bleiben. Nicht aber fast alles von dem, was am Listplatz gewesen ist.

Mit dem Rücken zum Bahnhof stehend lässt sich unschwer erkennen, dass der Kronprinzenbau links erheblich jünger ist. Nach dem Ende des selbst ernannten »Tausendjährigen Reiches« der Nazis waren die bisherigen Liegenschaften nur noch Trümmerhaufen. Doch auch das danach errichtete Hotel Kronprinz gibt es mittlerweile nicht mehr – es erklärt aber den Namen des heutigen Bauwerkes.

Die Ferdinand-von-Steinbeis-Schule wurde auf Trümmern errichtet. Foto: Stadtarchiv Reutlingen
Die Ferdinand-von-Steinbeis-Schule wurde auf Trümmern errichtet.
Foto: Stadtarchiv Reutlingen

Die alte Hauptpost rechts an der Bahnlinie hat den Zweiten Weltkrieg auch überstanden, ebenso die heute kulturell gefüllten Wandel-Hallen. Eine Kriegsfolge ist allerdings die breite und vierspurige Karlstraße, deren Straßenzüge zu den am meisten zerstörten Gegenden der Stadt gehörten. Es ist eine typische Architektur der 50er-Jahre, die sich etwa an der Ecke zur Bismarckstraße stadtauswärts bis zum Berufsschulzentrum zeigt. Alles Spuren des Wiederaufbaus nach dem Kriegsende, bei dem die Stadt Reutlingen zunächst sehr zügig unterwegs gewesen sein muss.

Die 1946 erstellte Karte der Kriegsschäden in Reutlingen zeigt gelb völlige Zerstörung und blau noch zu reparierende Liegenschaften.

In der Chronik »Reutlingen 1930 bis 1950 – Nationalsozialismus und Nachkriegszeit«, setzt sich die Historikerin Christine Glauning ausführlich mit dem Kapitel Wiederaufbau auseinander. Das lesenswerte Begleitbuch zur damaligen Ausstellung kann heute auf der Webseite des Stadtarchivs komplett heruntergeladen werden. Laut Glauning legte Reutlingen als erste Stadt in Württemberg-Hohenzollern einen Wiederaufbauplan vor. Bemerkenswert daran sei, dass dabei eine grundlegende Neugestaltung des Stadtbildes im Vordergrund gestanden haben soll.

»Das heutige Rathaus gilt als Abschluss des Wiederaufbaus und wurde 1966 eröffnet«, ordnet Stadtarchivar Dr. Roland Deigendesch die baulichen Bemühungen zeitlich ein. Auf dem Marktplatz selbst erstaunt es zu erfahren, dass ausgerechnet das modern erscheinende Kreissparkassen-Gebäude nach dem Krieg noch stand, während das Modehaus Zinser gegenüber zerstört wurde. »Die Kreissparkasse ist ein Beispiel des neuen Bauens Ende der 20er-Jahre – wie das Hallenbad Albstraße«, erklärt Deigendesch. Der Tuffstein-Bau der AOK ist wohl auch den Bomben entgangen.

Vieles, was in der Gegenwart in der Altstadt nach »alt« aussieht, kann auch wiederaufgebaut sein – schwierig zu erkennen. Aber wer einen Eindruck von einem Luftschutzkeller bekommen möchte, sollte sich ins Heimatmuseum begeben, wo der Bunker besichtigt werden kann.

DAS STADTARCHIV

Reichlich Lesestoff und historische Fotos

Es ist recht einfach, sich stundenlang in die Geschichte des Zweiten Weltkrieges in Reutlingen zu vertiefen. Das Reutlinger Stadtarchiv hat bereits 2020 zum 75. Jahrestag des Kriegsendes seine Schätze digitalisiert und damit all-gemein verfügbar gemacht. Die Sonderseiten im Internet behandeln Kapitel wie »Kapitulation und Kriegsende« oder »Französische Besatzung« inklusive reichhaltiger Illustrationen. Der Katalog »Reutlingen 1930– 1950. Nationalsozialismus und Nachkriegszeit« von Stadtarchiv und Heimatmuseum, der zum 50. Jahrestag des Kriegsendes 1995 erschien, kann kostenlos heruntergeladen werden. Die gedruckte Version ist längst vergriffen. Das Buch ist viele hundert Seiten dick sowie lesenswert für alle, die mehr über ihre Stadt wissen möchten. Absolut sehenswert ist das Fotoarchiv. Mit etwa einer halben Million Einzelbildern besitzt Reutlingen eine der großen kommunalen Fotosammlungen. Eine Fotodatenbank steht Nutzern im Lesesaal des Stadtarchivs zur Verfügung. Zahlreiche Bilder sind auch bereits im Internet abrufbar, können sogar herunter-geladen werden. (pr) www.reutlingen.de/ stadtarchiv

Spuren der düsteren Kriegsgeschichte finden sich daneben auf dem Friedhof Unter den Linden in Form von Denkmälern für die Opfer des Nazi-Regimes, die Kriegstoten und sogenannte Fremdarbeiter, die es auch in Reutlingen gegeben hat. »Der Wiederaufbau hatte zunächst mit dem Schaffen von Wohnraum zu tun. Da galt Reutlingen als vorbildlich«, fasst Deigendesch zusammen. (GEA)

www.reutlingen.de/kriegsende