REUTLINGEN. Die Grünen sind der klare Verlierer der Europawahl im Landkreis Reutlingen. Mit einem Stimmanteil von nur noch 12,6 Prozent im Vergleich zu stolzen 22,5 Prozent vor fünf Jahren ist die Umweltpartei geradezu abgestürzt. Einen nicht ganz so heftigen Stimmenschwund verbuchen die beiden anderen Ampel-Parteien SPD (10,3 Prozent, 2019 noch 12,7) und FDP (8,9 Prozent, 2019 noch 9,8). Die CDU bleibt mit 32,2 Prozent (2019: 30,5 Prozent) stärkste Kraft. Am meisten hinzugewonnen hat die AfD, die auf Platz zwei landet. Der vom Verfassungsschutz als »rechtsextremistischer Verdachtsfall« geführten Partei ist es gelungen, 15,7 Prozent zu holen, während sie 2019 noch 10,7 Prozent erreicht hatte. Die Reaktionen auf den Ausgang des Urnenganges mit einer hohen Wahlbeteiligung von über 65 Prozent fallen in der Region Reutlingen dementsprechend unterschiedlich aus.
Einer der Gründe: die zerstrittene Ampel
Bei der Grünen Wahlparty im Reutlinger Vis-a-Vis machen die Kreisräte Susanne Häcker und Rainer Buck ziemlich ernste Gesichter, die sich auch am bescheidenen kalten Buffet kaum aufhellen. »Nach dem historisch guten Ergebnis 2019 ein Einbruch«, stellt Häcker fest, »wir können nicht zufrieden sein«. Es sei schwierig geworden, »europäische Politik zu machen, wenn sie nicht gesehen wird«, bedauert die Abgeordnete. Ein Grund für das Wahldebakel sei angesichts zahlreicher Krisen gewiss auch das schwindende Bewusstsein für die Bedeutung des Klimaschutzes. Rainer Buck sieht zwei Faktoren für das schlechte Abschneiden seiner Partei: Erstens die »zerstrittene Ampel. Konflikte müssen gelöst werden, bevor man an die Öffentlichkeit geht«. Zweitens seien die Grünen »in der Klimafrage zwischen denen zerrieben worden, für die wir zu wenig und denen, für die wir zuviel gemacht haben«.
»Ich freue mich, dass die CDU die stärkste Kraft ist - aber ich sehe mit Sorge auf das Ergebnis der AfD«, sagt Christdemokrat und Kreisrat Florian Weller. Er hoffe, dass die CDU-Europaabgeordneten für »einen stabilen Kurs sorgen. Klar für Europa. Für wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit und ein weiteres Zusammenrücken in Sicherheitsfragen«. Zwar habe die Analyse der Europawahl gerade erst begonnen, aber aus seiner Sicht »wurden die Grünen für die schlechte Performance der Ampel in Haftung genommen«. Stimmen für die AfD bezeichnet Weller »als eine Mischung aus Protest und echter rechter Gesinnung«.
AfD: »Wir sind die Wahlgewinner«
»An sich sind wir die Wahlgewinner, weil wir mehr Prozente als bei der letzten Wahl gewonnen haben«, sagt AfD-Kreisrat Harald Rinderknecht, »trotz der deutschlandweiten Denunziation oder Hetze«. Seine Partei sei auch im Kreis Reutlingen zufrieden, »und die Wähler mit unserem Programm einverstanden«. Rinderknecht ist sich sicher, »dass wenn wir nicht so einseitig schlecht gemacht worden wären - dann hätten wir noch mehr Prozente bekommen«. Für ihn ist nach der Europawahl klar: »Die Ampel hat verloren, die muss weg«.
Hörbar enttäuscht ist Mike Münzing als Vertreter der SPD-Kreistagsfraktion. »Dieses Ergebnis entspricht nicht der Leistung der SPD in den vergangenen Jahren«, betont der Münsinger Bürgermeister. Insgesamt sei es erfreulich, »dass sich die demokratische Mitte halten konnte«. Allerdings, so Münzing, »sind knapp 16 Prozent für die AfD zuviel. Nachdem diese Partei weder auf Bundes- noch auf Europa-Ebene eine Alternative bietet, sondern nur Probleme formuliert«. Wer die Ampel-Regierung in den vergangenen Monaten in Misskredit gebracht habe, »der hat damit nicht die Parteien getroffen, sondern unsere Demokratie«. Das Wahlfazit des Sozialdemokraten fällt nachdenklich aus: »Alle etablierten Parteien müssen sich Gedanken machen, welche Kommunikationsfehler gemacht worden sind.«
Angesichts der Prognosen vor der Wahl ist die Reutlinger Gemeinderätin Sarah Zickler, die für die FDP auf Listenplatz 10 für einen Sitz im Europaparlament kandidiert hatte, fast schon erleichtert über das Endergebnis. 9 Prozent für die Liberalen, das sei deutlich weniger als die 9,8 Prozent beim letzten Urnengang - aber es hätte laut Prognosen ja noch schlimmer kommen können. Klar ist aber, dass Zickler nicht ins Europaparlament einziehen wird, denn dazu hätte die Partei bundesweit 9,6 Prozent holen müssen. Die Politikerin bedauert, »dass die Wähler oft nicht zwischen den politischen Ebenen unterscheiden«, sprich statt nach Straßburg und Brüssel zu blicken, eher Berlin im Blick haben. »Am Anfang fand ich die Ampel gut. Mittlerweile bin ich froh, wenn die Reise vorbei ist«, sagt Zickler auf einer Wahlparty im Reutlinger Beck's gemeinsam mit Europaparlamentarier Andreas Glück und dem Landesvorsitzenden Michael Theurer.
Linke im Keller
Irgendwie passend verfolgen einige Linke in ihrer Reutlinger Kreisgeschäftsstelle den Wahlabend vor dem Fernseher - im Keller. Ganz unten sind auch die Stimmemanteile mit nunmehr noch 1,8 Prozent was im Vergleich zu den mageren 3 Prozent vor fünf Jahren noch kümmerlicher ist. Das ist nur wenig mehr als die satirische Gruppierung »Die Partei«, bei der man im Schwarzen Café souverän mit einer Phrasenkarte auf Pressefragen antwortet. »Europa ist uns allen wichtig«, tönen Sjard Schmolke und Sophia Naumann, »es wäre schön, wenn es nicht so enttäuschend wäre«. (GEA)