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Die gefährlichen Seiten von Silvester

Buntes Feuerwerk, das den Nachthimmel erhellt: Das ist für viele untrennbar verbunden mit dem Jahreswechsel. Menschen in medizinischen Berufen haben andere Bilder im Kopf, wenn sie an Silvester denken.

Menschen feiern Silvester
Zahlreiche Menschen feiern auf dem Schlossplatz in Stuttgart mit reichlich Feuerwerk in das neue Jahr. Foto: Christoph Schmidt/dpa
Zahlreiche Menschen feiern auf dem Schlossplatz in Stuttgart mit reichlich Feuerwerk in das neue Jahr. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Berlin (dpa) - Menschen mit Schnittwunden, leichten Verbrennungen, Knalltrauma oder auch absprengten Fingern. Dazu viele Betrunkene, die allein nicht mehr zurechtkommen. Unter anderem darauf stellt sich Jan Ziegfeld für die Silvesternacht ein.

Er hat Nachtschicht als Notfallsanitäter bei den Johannitern in Berlin. Die Feuerwehr plane wie jedes Jahr im Voraus den Ausnahmezustand, sagt er. Blicke man auf die Einsatzzahlen von Brandbekämpfern und Notfallrettung, sei es die »geschäftigste Nacht des Jahres«.

Während die Johanniter für Silvester extra Fahrzeuge hinzuholen, stellen sich auch Kliniken wieder auf all jene Patienten ein, bei denen die Feier kein gutes Ende nehmen wird. Das Unfallkrankenhaus in Berlin (UKB) zum Beispiel erklärt, alle Operationssäle seien in der Nacht in Betrieb und führen »Volllast«. Die chirurgischen Kliniken seien mit kompletten Mannschaften im Einsatz.

Zwischen rund 30 und 70 Verletzungen mit Bezug zu Silvester wurden allein am UKB in den vergangenen Jahren registriert. Bei einzelnen Patienten ging es um Leben und Tod. Aber auch die schlimmsten Fälle, die die Klinik von Silvester 2018/19 aufführt, sind nichts für Zartbesaitete: Polenböller zerstört Hand - Mann beugt sich über Kettenbatterie und zieht sich Brüche und Verbrennungen im Gesicht zu - Luftgewehrschuss in Hand.

Fachgesellschaften warnen: »An keinem anderen Tag im Jahr verletzen sich so viele Menschen die Hände wie an Silvester«, so die Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie sowie für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Das kann zum Beispiel bedeuten: abgetrennte Finger, Verbrennungen und Brüche. Daneben seien auch Verletzungen im Gesicht und der Augen häufig, sagte DGOU-Generalsekretär Dietmar Pennig der Deutschen Presse-Agentur.

In Großstadtkrankenhäusern werden an dem einen Abend laut den Fachgesellschaften jedes Jahr rund 50 bis 60 Fälle mit schweren Handverletzungen gezählt. Die meisten Patienten seien Männer, vor allem zwischen 15 und 30 Jahren oder zwischen 50 und 60. Ein Teil von ihnen trägt bleibende Schäden davon.

Zu den Unfallursachen zählen etwa »Experimente« mit Pyrotechnik, das Zünden illegaler Feuerwerkskörper und Alkoholeinfluss. Behörden und Fachleute empfehlen, nur Produkte mit CE-Zeichen und Prüfnummer der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) zu verwenden. Kindern und Jugendlichen solle man keine Böller überlassen - und zu ihrem Schutz keine Blindgänger auf der Straße zurücklassen. Oft verletzten sie sich am Neujahrstag beim Versuch, Liegengebliebenes nachzuzünden.

Ein Blick in die Statistik des UKB zeigt: Rund die Hälfte der 25 Betroffenen mit schweren Handverletzungen, die dort am vergangenen Jahreswechsel operiert wurden, waren Kinder. Es geht nach Angaben einer Sprecherin um Teilamputationen, abgesprengte Finger sowie Hand- und Knochenbrüche. Der jüngste Patient war neun Jahre alt.

Notfallsanitäter Ziegfeld appelliert, Kinder für das Feuerwerk mit Ohrstöpseln oder Kopfhörern auszustatten - sie seien oft betroffen, wenn es um Gehörschäden gehe. Einsatzkräfte könnten solche Patienten nur zum HNO-Arzt bringen. Manchen drohten dauerhafte Probleme, etwa am Trommelfell, oder zeitweise Gehörverlust.

»Für uns ist die Zahl der Verletzungen auf einem kontinuierlich zu hohen Niveau«, betont Mediziner Pennig. Wenn Menschen und insbesondere Kinder unbeteiligt verletzt würden, tue einem »das nochmal zusätzlich weh«. In solchen Fällen könne man die Täter kaum ausfindig machen - »anders als in Fußballstadien, wo die Kameras in die Ränge hineinleuchten, ist das an Silvester überhaupt nicht der Fall«, sagt Pennig.

Können feuerwerksfreie Zonen, die es dieses Jahr etwa an zentralen Orten in mehreren Großstädten gibt, zu einer Verringerung der Verletztenzahlen beitragen? Zumindest das UKB glaubt das nicht: Da man Verletzte aus ganz Berlin und dem Umland eingeliefert bekomme, »erwarten wir nicht, dass sich die Verbotszonen zahlenmäßig für unser Haus bemerkbar machen«.

Pennig spricht sich unterdessen für Aufklärung aus - unter anderem, weil sich Menschen zum Beispiel bei einem offiziellen Verkaufsstopp aus seiner Sicht Pyrotechnik illegal beschaffen würden, etwa im Netz. Das schaffe neue Probleme. Auch in der Umsetzung sieht er Schwierigkeiten: »Wenn man ein solches Verbot ausübt, dann lässt sich das polizeilich und ordnungsdienstlich in Großstädten wie Köln, München oder Berlin kaum durchsetzen.«

Ob die Durchsetzung der nun geplanten Verbote gelingt, darauf ist auch Sanitäter Ziegfeld gespannt. Vier Mal sei er an Silvester bisher in Berlin im Einsatz gewesen: in Schöneberg und Kreuzberg, den »Epizentren«. Aus großen Menschenmengen heraus und an bestimmten Kreuzungen würden Feuerwerkskörper auf alles gefeuert, was sich bewege. Über die Motive könne er nur rätseln. Dass Verbotszonen helfen, gewisse Gruppendynamiken zu verhindern und die Lage zu entzerren, sei zumindest die Hoffnung, so Ziegfeld.

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