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Aktuell Krise

Womöglich noch Hunderte Deutsche in Afghanistan

Hunderte weitere Menschen, die in Afghanistan festsaßen, sind über Taschkent nach Deutschland geflogen worden. Am Hindukusch könnten sich noch viel mehr Deutsche aufhalten als gedacht.

Ankunft Evakuierter
Nagib Saidi (r) aus Kabul wird auf dem Frankfurter Flughafen nach seiner Ankunft von seinem Schwiegervater Antioco Onnis (l) begrüßt. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa
Nagib Saidi (r) aus Kabul wird auf dem Frankfurter Flughafen nach seiner Ankunft von seinem Schwiegervater Antioco Onnis (l) begrüßt. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

KABUL. Die Bundeswehr hat seit Montag mehr als 1600 Menschen aus Afghanistan in Sicherheit gebracht.

Im usbekischen Taschkent landete am Freitagmorgen eine weitere Transportmaschine mit 181 in Kabul aufgenommenen Menschen an Bord, wie die Bundeswehr auf Twitter mitteilte. Von der usbekischen Hauptstadt geht es mit zivilen Flugzeugen weiter nach Deutschland.

Unter den Geretteten waren bis zum frühen Donnerstagabend neben afghanischen Ortskräften und anderen Hilfsbedürftigen mindestens 244 deutsche Staatsbürger - weit mehr als ursprünglich erwartet. Und immer noch könnten sich mehrere hundert im Land aufhalten. Auf der Krisenliste des Auswärtigen Amts hat sich inzwischen »eine mittlere dreistellige Zahl« Deutscher registriert, wie die Deutsche Presse-Agentur aus dem Ministerium erfuhr.

Ursprünglich waren es knapp 100 gewesen. Viele haben sich aber wegen der dramatischen Lage in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban nachgemeldet. Die Zahlen ändern sich ständig. Nicht berücksichtigt sind die 40 Botschaftsmitarbeiter, die mit einer US-Maschine bereits in der Nacht zu Montag nach Katar ausgeflogen wurden.

Afghanische Ortskräfte in Brandenburg angekommen

Rund 60 afghanische Ortskräfte und ihre Angehörigen sind in Brandenburg angekommen. Zwei Busse aus Frankfurt/Main trafen am Freitagmorgen in der Erstaufnahme in Doberlug-Kirchhain (Elbe-Elster) ein. Es handele sich um Ortskräfte aus Afghanistan mit ihren engsten Angehörigen, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Martin Burmeister. Darunter seien 29 Kinder und Jugendliche. Die ursprünglich für Donnerstagabend geplante Ankunft hatte sich wegen der Registrierung der Menschen erheblich verzögert.

Die Afghanen wurden zunächst mit Essen und Trinken sowie medizinisch versorgt. Sie müssen drei Tage in Quarantäne und sollen voraussichtlich bis Dienstag in Doberlug-Kirchhain bleiben. Dann könnten sie auch in andere Bundesländer verteilt werden.

Gestern waren bereits weitere Maschinen mit Hunderten Geretteten in Frankfurt gelandet. Morgens befanden sich insgesamt rund 500 Menschen an Bord zweier gecharterter Flieger von Lufthansa und Uzbekistan Airways aus Taschkent. Am Nachmittag landete einem Lufthansa-Sprecher zufolge eine weitere Maschine. In dem Airbus A340 befanden sich demnach etwa 150 Menschen.

Augenzeugen berichten von Chaos

Nach ihrer Landung in Deutschland berichteten Passagiere von schlimmen Erlebnissen und chaotischen Verhältnissen am Flughafen in Kabul. »Es ist schrecklich«, sagte Mahmud Sadjadi, ein Deutscher mit afghanischen Wurzeln. Er habe Tote gesehen und Schüsse gehört. »Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit. Nur Chaos«, so beschrieb er die Zustände in Kabul.

Der Mann aus dem Westerwald war zuvor mit dem Evakuierungsflug der Lufthansa nach Frankfurt gekommen. Insbesondere am Flughafen der afghanischen Hauptstadt sei es gefährlich, sagte Sadjadi, der sich drei Wochen in Kabul aufgehalten hatte. »Man muss beispielsweise auch durch eine Barriere der Taliban durchgehen.« Afghanische Sicherheitskräfte hätten geschossen. Er habe mitbekommen, wie Menschen gestorben seien. Ohne Pass sei kein Durchkommen zum Flughafen möglich gewesen.

Ein anderer Passagier, der seinen Namen nicht nennen wollte, berichtete von organisatorischen Schwierigkeiten bei der Rückkehraktion. »Die Situation ist schwer und nicht leicht unter Kontrolle zu bringen«, sagte er. Die Menschen in Afghanistan bräuchten aber Hilfe. »Die Welt muss den afghanischen Leuten helfen.«

Der Passagier Sadjadi dankte der Bundesregierung für die Rettung, beklagte aber auch fehlende Informationen. »Es gab keine Informationen, wo wir uns sammeln müssen, wann wir uns sammeln müssen.« Man sei allein gelassen worden, auf seine Mails habe er keine Antwort bekommen. Andere Länder hätten ihre Leute mit Bussen eingesammelt und zum Flughafen gebracht. »Gott sei Dank ist alles gut gegangen.«

Dennoch denke er an die vielen Menschen, die noch in Afghanistan seien. Er selbst habe noch Familie in Afghanistan, seine Geschwister lebten dort, sagte Sadjadi, der in Frankfurt von seinen Kindern empfangen wurde. Mit dem Land werde ein schreckliches Spiel gespielt, meint er. »Das Billigste, was es gibt, ist das Leben eines Afghanen.«

Reaktionen von Politikern

Der frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach sich für eine internationale Afghanistan-Konferenz aus. »Je eher sie stattfindet, umso besser«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Freitag). Teilnehmen sollten auch Russland und China - auch wenn in beiden Ländern derzeit noch Spott und Häme wegen der Blamage des Westens dominierten. »Das Triumphgeheul dieser Tage in Moskau und Peking wird bald verklingen«, meint Gabriel. Außerdem gehörten neben der EU und den Weltmächten USA, China und Russland auch Pakistan und der Iran an den Konferenztisch, betonte er.

Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet sprach sich für Gespräche mit den Taliban aus, um gefährdeten Menschen in Afghanistan zu helfen. »Die Kunst guter Außenpolitik besteht gerade darin, mit solchen Staaten zu Lösungen zu kommen, deren Ziele und Menschenbild unsere Gesellschaft zu Recht ablehnt«, sagte der CDU-Chef der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. »Den Dialog mit den Taliban zu verweigern, würde den Menschen nicht helfen, die aus Afghanistan herauswollen.« (dpa)