BERLIN. Führende Umwelt- und Wirtschaftsforscher haben die Klimaschutz-Vereinbarungen der großen Koalition kritisiert. Sie halten sie für zu kleinteilig und in der Wirkungskraft zu begrenzt. Gelobt wird allerdings der vereinbarte Mechanismus zur Überprüfung, ob die Maßnahmen wirken.
»Das ist halt alles, was eine Drei-Parteien-Koalition hinbekommt«, sagte der Wissenschaftliche Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig, Professor Georg Teutsch, der »Welt«. »Viele Einzelmaßnahmen, von denen heute kein Mensch sagen kann, wie sie in der Summe wirken werden.« Die zentrale Maßnahme - die Festlegung eines Preises für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) - sei viel zu zaghaft, um schnell Wirkung zu erzeugen.
Starten soll die Bepreisung von Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas 2021 mit einem Festpreis für Verschmutzungsrechte von 10 Euro pro Tonne CO2. Bis 2025 soll der Preis schrittweise auf 35 Euro steigen - was zum Beispiel Diesel beim Tanken um gut 9 Cent verteuern würde.
Auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält das für unzureichend. »Von dem Einstiegspreis von zehn Euro sind keine Verhaltensänderungen zu erwarten, hier stand offenbar der Verzicht auf harte Belastungen im Vordergrund«, sagte IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt dem »Handelsblatt«. Der Ansatz, die Einführung des CO2-Preises für den Gebäude- und den Verkehrssektor mit Förderprogrammen zu verbinden, sei dagegen »sinnvoll, weil er die notwendigen Investitionen in den nächsten Jahren voranbringen kann«. Insgesamt sei das Sammelsurium an Preissignalen aber ohne effiziente klimapolitische Steuerung.
Umweltforscher Teutsch zeigte sich trotzdem »etwas optimistisch«, weil die Maßnahmen von einem Monitoring begleitet werden sollen. »Wenn es bei Nichteinhaltung wirklich klare Konsequenzen mit entsprechender Nachsteuerung gibt - und das hängt entscheidend von dem noch zu formulierenden Kontroll- und Korrekturprozess ab - dann könnten wir die Klimaziele für 2030 und 2050 tatsächlich erreichen«, sagte er. Der Druck auf die Politik müsse aufrechterhalten werden.
Kanzleramtschef Helge Braun verteidigte das Klimaschutzpaket der großen Koalition. »Wir wollen, dass alle Menschen ihr Verhalten ändern, dass sie sich klimafreundlicher verhalten. Aber wir wollen, dass sie es freiwillig tun und wir wollen auch, dass sie den Umstieg gut schaffen«, sagte der CDU-Politiker am Samstag im Deutschlandfunk. »Alle sollen schrittweise umsteigen. Wir werden aber niemanden zwingen, heute seine Mobilität von jetzt auf gleich einzuschränken.«
Zu dem von Umweltschützern kritisierten moderaten Einstieg in einen CO2-Preis sagte Braun: »Das Entscheidende ist, dass wir hier in einen Emissionshandel einsteigen.« Es müssten jetzt alle damit rechnen, dass es eine Umstellungsphase von fünf Jahren gebe, »wo wir ihnen helfen, die Heizung auszutauschen, wo sie die nächste Entscheidung fürs neue Auto treffen, das soll CO2-neutraler sein«. »Und danach kann der Preis dann auch sehr viel deutlicher steigen, weil wir dann ihn politisch nicht mehr so stark regulieren werden«, erläuterte Braun.
Für die Deutsche Energie-Agentur (dena) ist das Vereinbarte »sehr wahrscheinlich noch nicht genug, um die Klimaziele 2030 zu erreichen«, wie Geschäftsführer Andreas Kuhlmann erklärte. Bundestag und Bundesrat müssten das Konzept nun weiterentwickeln. Auch er lobte aber den Prüfmechanismus.
Auch der Wissenschaftler Volker Quaschning hat die Klimaschutz-Vereinbarungen der großen Koalition scharf kritisiert. Die Regierung tue so, »als ob wir 200 Jahre Zeit hätten. Dann wären die Maßnahmen gut, aber nicht bei 15 Jahren«, sagte Quaschning am Samstag der RTL/n-tv-Redaktion. In dem vorgelegten Eckpunktepapier erkennt Quaschning demnach »keine Logik und keinen Sachverstand«.
Mit Blick auf die künftige CO2-Bepreisung bemängelte er, dass sie erst in zwei Jahren einsetze und wesentlich zu niedrig sei. »Man hat sich nicht einmal getraut, diesen Mikroschritt in diese Legislaturperiode zu legen«, so Quaschning. Der Forscher ist Mitinitiator der Scientists for Future. Die Wissenschaftler-Gruppe steht an der Seite der Klimaschutz-Bewegung Fridays for Future.
Auch unter dem Druck erneuter Klima-Proteste hatten sich die Spitzen der großen Koalition am Freitag auf ein milliardenschweres Paket geeinigt. Damit soll Deutschland seine verbindlichen Klimaziele für 2030 verlässlich erreichen. Als zentrales Element bekommt klimaschädliches Kohlendioxid einen Preis. Förderungen klimaschonender Neuanschaffungen sollen anfangs besonders attraktiv sein und später abschmelzen. In den nächsten Jahren sei »die große Gelegenheit« zum Umstieg in klimafreundliche Optionen beim Autokauf oder Heizungstausch, heißt es in einem 22-seitigen Eckpunktepapier. Die Koalition will zudem Bahnfahren billiger und Flüge teurer machen. Der Ausbau der Ökostrom-Erzeugung soll beschleunigt werden.
Die nötigen Gesetzesänderungen will das Bundeskabinett noch in diesem Jahr beschließen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem »Paradigmenwechsel«.
Mehrere Anwärter für den SPD-Vorsitz äußerten sich hingegen unzufrieden. Karl Lauterbach sagte auf einer SPD-Regionalkonferenz in Neubrandenburg, es sei ein CO2-Preis beschlossen worden, mit dem Autofahrer durch die höhere Pendlerpauschale am Ende mehr im Portemonnaie hätten. Sein Mitbewerber, Nordrhein-Westfalens Ex-Finanzminister Norbert Walter-Borjans sagte der »Welt«: »Auch wenn die SPD sich in wichtigen Punkten gut durchsetzen konnte, so zeigt sich, dass sozial gerechter Klimaschutz an CDU und CSU scheitert.«
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verteidigten den Kompromiss jedoch. »Was wir da vorgelegt haben, ist ein großer Wurf«, sagte Scholz am Freitagabend im ZDF. Altmaier verteidigte in dem Sender, dass die Pendlerpauschale von 30 auf 35 Cent je Kilometer angehoben wird, was Umweltschützer kritisieren. Städter könnten vom Auto auf Fahrrad oder Nahverkehr ausweichen, erklärte er. Menschen auf dem Lande müssten weit fahren, weil es bei ihnen keine Arbeitsplätze gebe. »Und diese Menschen dürfen am Ende nicht die Leidtragenden der Klimapolitik sein.«
SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Die Rettung des Klimas gelingt nicht in einer Nacht, aber das Klimapaket enthält Grundlagen, die es noch nie gegeben hat.« Dazu zählten die Förderung von Solaranlagen ohne Deckelung, finanzielle Anreize für Kommunen bei Windkraft an Land sowie »massive Investitionen in eine Infrastruktur der Zukunft«.
Für den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert ist die verabredete jährliche Überprüfung der Maßnahmen »der eigentliche Erfolg in den Verhandlungen«. Das Paket sei ein klassischer Kompromiss. Aber: »Das Ergebnis ist insbesondere bei den Investitionen näher an dem, was wir als SPD wollten, als an dem, was die CDU wollte«, sagte er der dpa.