Deutschland will beim Ausbau der Windenergie in der Ostsee enger mit anderen Staaten in der Region zusammenarbeiten und so die Abhängigkeit von russischen Gas- und Öllieferungen verringern.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kündigte am Mittwoch beim Treffen des Ostseerats im norwegischen Kristiansand an, man wolle eine erste gemeinsame Offshore-Windkraftanlage schaffen. Dies sei nicht nur notwendig, um klimaneutral zu werden, sondern auch um Energiesicherheit zu gewährleisten.
Deutschland wolle dafür seinen am 1. Juli beginnenden Vorsitz des Rates nutzen, zu dem elf Staaten und die Europäische Union gehören. Mit Norwegen und Island sind auch zwei Länder dabei, die nicht direkt an die Ostsee grenzen. In der vergangenen Woche hatte die Bundesregierung eine ähnliche Kooperation beim Windkraftausbau auch in der Nordsee angekündigt.
Die Zusammenarbeit mit der EU und gleichgesinnten Staaten in diesem Bereich sei entscheidend, betonte Baerbock bei einem gemeinsamen Auftritt mit ihrer norwegischen Kollegin Anniken Huitfeld und dem litauischen Außenminister Gabrielus Landsbergis. Nur so sei es möglich, unabhängiger von anderen Staaten zu werden und zu verhindern, dass man erpressbar sei. Baerbock kündigte zudem Austauschprogramme für Jugendliche aus den Ostsee-Staaten an.
Windkraft - Ampel hat Ausbauziele erhöht
Windkraft auf See ist neben Windkraft an Land und Solarenergie eine zentrale Säule beim Ausbau des Ökostroms in Deutschland. Die Ampel-Regierung hat im Koalitionsvertrag die Ausbauziele für die Windenergie auf See im Vergleich zur Vorgängerregierung deutlich erhöht. Statt 20 Gigawatt (GW) bis 2030 und 40 GW bis 2040 sollen es nun 30 GW bis 2030, 40 GW schon bis 2035 und 70 GW bis 2045 werden.
Derzeit sind in Nord- und Ostsee 1501 Windenergieanlagen mit knapp 7,8 GW in Betrieb, weit überwiegend in küstenfernen Gebieten in der sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), die Deutschland in internationalen Gewässern exklusiv nutzen darf.
Der Ostseerat - Mitglieder und Ziele
Das Treffen des Ostseerats war die erste formelle Ministersitzung seit 2014, als Russland die ukrainische Schwarzmeerhalbinsel Krim annektiert hatte. Dem 1992 gegründeten Forum gehören neben Deutschland und Norwegen auch Dänemark, Estland, Finnland, Litauen, Lettland, Polen, Schweden, Island und die EU an. Die Mitgliedschaft Russlands wurde Anfang März ausgesetzt. Daraufhin erklärte Moskau vergangene Woche seinen Austritt. Bis zum Angriff auf die Ukraine war der Rat eine der Runden, in denen konkrete Zusammenarbeit bei Fachthemen mit Moskau möglich war.
Nato-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland
Baerbock zeigte sich zuversichtlich, dass Schweden und Finnland trotz der aktuellen Blockade durch die Türkei bald in die Nato aufgenommen werden können. »Wir werden Finnland und Schweden in unserer Allianz willkommen heißen«, sagte sie. Auch Norwegens Außenministerin Huitfeldt zeigte sich optimistisch, dass die Bedenken der türkischen Regierung ausgeräumt werden können. »Es ist sehr wichtig für Norwegen, Schweden und Finnland in die Nato zu lassen. Und ich denke, dass diese Frage gelöst werden kann«, sagte sie.
Deutschlands Rolle im Ukraine-Konflikt
Huitfeldt lobte Deutschland dafür, eine Führungsrolle in der Reaktion auf die russische Invasion in die Ukraine übernommen zu haben. Es handle sich um einen Wendepunkt in der Position des Landes innerhalb der Nato. Der litauische Außenminister Landsbergis warb angesichts der Kritik, Deutschland handele zu zögerlich, um Geduld. Wenn man in Betracht ziehe, wo Deutschland vor dem Krieg gestanden habe und wo es jetzt stehe, sei das nicht einfach gewesen. Er fügte hinzu: »Was wir in diesen Monaten getan haben, wird in Erinnerung bleiben. Nicht nur im nächsten Jahr, sondern auch in den kommenden Jahrzehnten.«
Nachhaltige Produktion von Batteriematerialien für E-Autos
Am Nachmittag besuchte Baerbock ein Unternehmen, das sich auf die Produktion nachhaltiger Batteriematerialien spezialisiert hat. Die Firma hat laut Bundesregierung eine Reihe synthetischer Graphitprodukte mit hoher Leistung und bis zu 90 Prozent geringeren CO2-Emissionen als die heutigen Standardmaterialien entwickelt. Das Unternehmen plant, mit etwa 100 Mitarbeitern Graphit für mehr als 20 000 Elektrofahrzeuge im Jahr zu produzieren.
Munitionsaltlasten in der Ostsee
Baerbock kündigte an, Deutschland werde sich während seines Vorsitzes im Ostseerat besonders den Munitionsaltlasten in der Ostsee aus dem Zweiten Weltkrieg widmen. Diese seien eine »tickende Zeitbombe« und ein Problem für Umwelt und Sicherheit. Die Munitionsaltlasten könnten neben einer Bedrohung für den Schiffsverkehr auch zur Gefahr für Windanlagen in der Ostsee werden. Nach Schätzungen liegen in der Ostsee 300.000 Tonnen konventionelle Munition und 42.000 bis 65.000 Tonnen chemische Kampfstoffe, die nach dem Zweiten Weltkrieg dort versenkt wurden.
Norwegische Präsidentschaft zum Außenministertreffen des Ostseerats (engl.)
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