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Wie Migranten im US-Wahlkampf instrumentalisiert werden

In den USA ist die Einwanderung nach wie vor eines der umstrittensten politischen Themen des Landes. Vor allem Republikaner nutzen das Thema für ihren Wahlkampf - mit teils fragwürdigen Methoden.

Einwanderer
Eine Gruppe Einwanderer wurde ohne ihr wissen auf dei Ferieninsel Martha's Vineyard gebracht. Foto: Ray Ewing
Eine Gruppe Einwanderer wurde ohne ihr wissen auf dei Ferieninsel Martha's Vineyard gebracht.
Foto: Ray Ewing

Auf der noblen US-Ferieninsel Martha's Vineyard an der Ostküste der USA landeten am 14. September zwei Privatflugzeuge aus Florida. An Bord: Keine Politiker, die in der liberalen Enklave gerne Urlaub machen, sondern 48 Geflüchtete aus Venezuela. Der Republikaner Ron DeSantis, Gouverneur von Florida, hatte sie unangekündigt dorthin bringen lassen - aus Protest gegen die Einwanderungspolitik von US-Präsident Joe Biden. Nach Recherchen der »New York Times« wussten die Menschen nicht, wohin man sie bringen würde. Die Insel war auf ihre Ankunft nicht vorbereitet.

DeSantis' öffentlichkeitswirksame Aktion ist nur eine von mehreren dieser Art. Seit Monaten lassen republikanische Gouverneure aus dem Süden der USA, darunter Greg Abbott aus Texas und Doug Ducey aus Arizona, unangekündigt Migranten von der amerikanisch-mexikanischen Grenze mit Bussen in von Demokraten geführte Großstädte bringen: etwa nach Washington, New York und Chicago. In der US-Hauptstadt wurden Migranten vor dem US-Kapitol und in der Nähe der Residenz von Vizepräsidentin Kamala Harris abgeladen. Mehrere Tausend sollen auf diese Weise bereits quer durchs Land geschickt worden sein.

Wahlkampf auf beiden Seiten

Kurz vor den Kongresswahlen am 8. November ist der Wahlkampf in den USA in vollem Gange. Nicht nur über die neuen Mehrheitsverhältnisse im Kongress wird abgestimmt, sondern auch über zahlreiche Gouverneursposten wie die von DeSantis und Abbott, die sich zur Wiederwahl stellen. Viele Republikaner setzen auf das Thema Einwanderung, doch auch bei den Demokraten spielt es eine Rolle. Als Reaktion auf die Migrantenbusse riefen die Washingtoner Bürgermeisterin Muriel Bowser und der New Yorker Bürgermeister Eric Adams den Notstand aus - auch, um Geld des Bundes zu bekommen.

Nach Ansicht des Ökonomen und Migrationsforschers Dany Bahar nutzen beide politischen Lager Migranten als Instrument, um einen eigenen politischen Vorteil zu erreichen. »Ich sehe keine Diskussion zum Thema Migration, die wirklich tiefgreifend ist und sich mit den Problemen beschäftigt«, sagt Bahar, der an der Brown University in Providence im US-Staat Rhode Island lehrt. Nicht nur die Republikaner benutzten Migranten, auch die Demokraten bedienten sich des Narrativs der Krise. Dass angesichts des Arbeitskräftemangels in den USA niemand über die Chancen von Einwanderung spreche, sei »erstaunlich«.

Viele Menschen wollen ins Land

An der Grenze zwischen den USA und Mexiko hat die amerikanische Grenzschutzbehörde seit Oktober 2021 mehr als zwei Millionen Versuche von Menschen registriert, in die USA zu gelangen. Dabei wächst den Statistiken zufolge die Zahl der Migranten, die nicht aus Mexiko, Guatemala, Honduras und El Salvador stammen. Immer mehr Menschen kommen aus Kuba, Kolumbien, Nicaragua und Venezuela.

Angesichts des starken Zustroms von Venezolanern vereinbarten die USA und Mexiko vor wenigen Tagen ein neues Verfahren im Umgang mit den Migranten aus dem Krisenstaat: Illegal in die USA eingereiste Venezolaner sollen zurück nach Mexiko geschickt werden. Im Gegenzug ermöglichen die USA bis zu 24.000 Venezolanern, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die legale Einreise. Viele, vor allem weniger gut gestellte unter ihnen, befürchten nun eine Abschiebung.

Krise in Venezuela

Venezuela steckt seit Jahren in der Krise. In dem Land mit den größten bekannten Erdölreserven weltweit kam es ab 2016 zu Hyperinflation und Knappheit an Lebensmitteln und Medikamenten. Mehr als sieben Millionen Menschen flüchteten, rund 80 Prozent von ihnen landeten in Kolumbien oder anderswo in Lateinamerika und der Karibik. Dort haben etwa drei Viertel der Venezolaner laut einem UN-Bericht aber Probleme, über die Runden zu kommen. Immer mehr von ihnen ziehen nun Richtung USA. Rund 108.000 Venezolaner wagten in den ersten neun Monaten des Jahres den gefährlichen Marsch durch den Darién-Dschungel von Kolumbien nach Panama, im Gesamtjahr 2020 waren es 8594.

Auch Kubaner zieht es in die USA

Auch aus Kuba machen sich zunehmend Menschen auf den Weg gen Norden. Sie verkaufen, was sie können, um nach Nicaragua zu fliegen und von dort weiter Richtung US-Grenze zu ziehen. In den USA wird Kubanern in der Regel erlaubt, während ihrer Migrationsverfahren bei Verwandten zu bleiben - die leben häufig in Florida. In dem rund 150 Kilometer von Kuba entfernten Bundesstaat sind Exilkubaner eine wichtige Wählergruppe für die Republikaner. Die wegen des US-Embargos und der ineffizienten Wirtschaft schwierige Versorgungslage in Kuba ist durch ausbleibenden Tourismus in der Pandemie noch prekärer geworden. Für magere Essensrationen stehen Menschen stundenlang Schlange. Wer keine Dollar von Verwandten im Ausland bekommt, hat große Probleme.

Keine Kehrtwende unter Biden

US-Präsident Biden schlug zu seinem Amtsantritt einen grundlegend anderen Kurs ein als sein Vorgänger Donald Trump. Daten des Migration Policy Institute zeigen, dass die Biden-Regierung allein im ersten Amtsjahr 296 Verfügungen zur Einwanderung erließ, darunter viele Lockerungen. Doch Maßnahmen aus der Trump-Ära bestehen bis heute: So gelang es Biden etwa nicht, die »Titel-42-Regelung« abzuschaffen, die Trump zu Beginn der Pandemie in Kraft gesetzt und dazu genutzt hatte, die Grenzen weitgehend abzuriegeln. Unter Verweis darauf werden Migranten abgewiesen, ohne dass sie Asyl beantragen können - begründet damit, dass sie das Coronavirus einschleppen könnten.

Wie Daten des US-Grenzschutzes zeigen, wurden von Oktober 2021 bis September 2022 mehr als eine Million Migranten, die in den USA Asyl beantragen wollten, in ihre Heimatländer oder nach Mexiko zurückgeschickt. Migrationsforscher Bahar sagt, Biden habe zwar »kleine Dinge hier und da in Ordnung gebracht«. Von einer Kehrtwende in der Einwanderungspolitik könne man aber nicht sprechen.

© dpa-infocom, dpa:221016-99-144081/3