Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind in Europa nicht mehr so viele Menschen innerhalb so kurzer Zeit aus ihrem Heimatland geflohen. Bisher ist nur ein relativ geringer Anteil der nach UN-Angaben mehr als 3,2 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland angekommen.
Dennoch: ihre Unterbringung und Versorgung ist für Länder und Kommunen eine große Herausforderung. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wie viele Kriegsflüchtlinge hat Deutschland aufgenommen?
Das weiß niemand so genau. Die Bundespolizei kontrolliert zwar verstärkt im Grenzgebiet und stellt auch fest, wie viele Menschen aus der Ukraine mit dem Zug - oft über Polen - nach Deutschland einreisen. Doch feste Grenzkontrollen gibt es nicht. Und Ukrainer dürfen ohne Visum einreisen. Manche Flüchtlinge kommen zudem mit dem eigenen Auto aus der Ukraine. Andere werden von Freunden oder Verwandten aus Deutschland mit dem Auto abgeholt - zum Beispiel in Warschau.
Die Bundespolizei hat seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine bislang nach Angaben der Bundesregierung rund 200.000 Kriegsflüchtlinge erfasst. Wie viele es wirklich sind, dürfte erst in einigen Wochen klar sein, wobei bis jetzt noch täglich mehr Menschen hinzukommen. Unter den Ankommenden sind auch Ausländer, die in der Ukraine gelebt haben, etwa Flüchtlinge, Studenten und Arbeitsmigranten. Wie viele von ihnen erst einmal in Deutschland bleiben werden, ist noch offen.
Wie läuft die Registrierung der Flüchtlinge?
Die Staaten der Europäischen Union haben sich darauf verständigt, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen werden, ohne einen Asylantrag stellen zu müssen. Sie erhalten erst einmal Schutz für ein Jahr, durch EU-Ratsbeschluss kann das auf bis zu drei Jahre verlängert werden. Anders als Asylbewerber müssen sie also nicht beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vorstellig werden, um Schutz zu beantragen.
Ein Teil der Ankommenden hat sich aber bereits am Zielort bei der Ausländerbehörde gemeldet: etwa um staatliche Unterstützung zu erhalten oder damit die Kinder zur Schule gehen können. Die Registrierung bei der Behörde ist auch notwendig für alle, die arbeiten wollen. Das Bamf ist dennoch beteiligt. Es hat in den vergangenen Tagen Geräte und Personal in Städte wie Berlin geschickt, wo besonders viele Flüchtlinge ankommen. Die Nürnberger Behörde soll helfen, damit die Ankommenden erkennungsdienstlich erfasst werden: es werden Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen.
Wie sieht es mit den Aufnahmekapazitäten aus?
Aktuell kommen täglich zwischen 12.000 und 15.000 Flüchtlinge aus der Ukraine an, vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen. Bisher ist noch für jeden von ihnen ein Schlafplatz gefunden worden. Doch mancherorts wird es schon eng. Auch weil die Zahl der Asylbewerber aus anderen Staaten zuletzt wieder leicht gestiegen war und die Ankunft der geflüchteten Afghanen nach der Machtübernahme durch die radikalislamischen Taliban erst wenige Monate zurückliegt.
Außerdem: Viele Flüchtlinge aus der Ukraine glauben, dass es in Berlin und anderen Großstädten für sie leichter wäre, Arbeit und eine Wohnung zu finden. Wenn dann ein Bus ankomme, um Menschen etwa nach Eisenhüttenstadt oder Weeze zu bringen, gebe es manchmal schwierige Diskussionen, berichtet ein Helfer im Ankunftszentrum in Berlin-Reinickendorf. Eine bundesweite Übersicht über die Aufnahme der Ukraine-Flüchtlinge in den einzelnen Bundesländern ist bislang nicht veröffentlicht worden.
In Berlin, wo besonders viele Kriegsflüchtlinge ankommen, wurde beispielsweise mit Unterstützung vom Bund ein Ankunftszentrum mit Schlafplätzen am alten Flughafen Tegel eingerichtet. Berlins Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey (SPD), hat klar gesagt: Eine »Obergrenze« für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen gebe es nicht. Dass Menschen in Turnhallen untergebracht werden, wie 2015 und 2016, als Hunderttausende Asylbewerber kamen - unter ihnen viele Syrer - solle diesmal aber vermieden werden.
Wie werden die Flüchtlinge verteilt?
Um Berlin und andere Großstädte an den Haupt-Bahnstrecken zu entlasten, werden inzwischen Busse und Sonderzüge eingesetzt. Die Bundesregierung hat auf Forderungen der Länder reagiert und plant jetzt eine Verteilung der Ukraine-Flüchtlinge nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel, der sich nach Bevölkerungsgröße und Steueraufkommen richtet. Wer dauerhaft bei Verwandten unterkommt, kann allerdings selbst entscheiden, wo er oder sie bleibt. Wie viele Menschen aus Berlin in andere Städte gebracht werden, hängt zur Zeit noch davon ab, welche Kommune gerade einen Bus in die Hauptstadt schickt, um Flüchtlinge abzuholen.
Welche staatlichen Leistungen gibt es und wer bezahlt das?
Die Flüchtlinge haben Anspruch auf Unterbringung, Kleidung, Nahrungsmittel und Gesundheitsleistungen. Auch die Integrationskurse stehen ihnen offen. Verpflichtend ist die Teilnahme am Unterricht in deutscher Sprache, Geschichte und Kultur für die Kriegsflüchtlinge aber nicht. Darüber, wer welche Kosten trägt, haben sich Bund und Länder noch nicht geeinigt. Bisher läuft bei der Versorgung mit Essen, Kleidung und Hygieneartikel noch viel über Spenden und ehrenamtliches Engagement. Die Bundesregierung hat zwar eine finanzielle Mitverantwortung eingeräumt. Details sollen aber erst am 7. April final erörtert werden.
Wie werden die Kinder aus der Ukraine unterrichtet?
Zwar hoffen die meisten Flüchtlinge auf eine baldige Rückkehr in die Heimat. Doch deutsche Politiker halten es trotzdem für notwendig, dass die Kinder und Jugendlichen Deutsch lernen und am regulären Schulunterricht teilnehmen. Ukrainische Lehrkräfte könnten zwar helfen. Da eine Prognose, wann die Lage in der Ukraine eine Rückkehr zulassen wird, aber derzeit unmöglich sei, dürften Integrationsschritte nicht verzögert werden.
Was leisten die Unternehmen?
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die Flüchtlinge schnell in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren. Es gebe in vielen Bereichen einen Arbeitskräftemangel, sagte Heil im Fernsehsender »Welt«. »Es muss Spracherwerb möglich sein. Es muss klar sein, dass Qualifikationen, die in der Ukraine erworben sind, hier auch anerkannt werden.« Das müsse zügig geklärt werden.
»Insgesamt habe ich den Eindruck, dass viele Menschen, die kommen, hier auch wissen, dass aufgrund der dramatischen Lage sie länger in Deutschland bleiben werden«, so Heil. Viele wollten auch arbeiten. Deutsche Unternehmen seien auch zur Beschäftigung der Betroffenen bereit, »weil sie sie brauchen können«.
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