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Weltkrisen statt Wettbewerbspolitik: Der EU-Gipfel

Wie kann ein großer Krieg in Nahost verhindert werden? Und woran hapert es bei der Unterstützung der Ukraine? Bei einem EU-Gipfel geht wieder einmal vor allem um Außenpolitik. Die Stimmung ist düster.

EU-Gipfel in Brüssel
Bundeskanzler Olaf Scholz beim EU-Gipfel in Brüssel. Foto: Omar Havana/DPA
Bundeskanzler Olaf Scholz beim EU-Gipfel in Brüssel.
Foto: Omar Havana/DPA

Die besorgniserregenden Entwicklungen im Nahen Osten und in der Ukraine haben den Auftakt eines zu Wirtschaftsthemen geplanten EU-Gipfels in Brüssel überschattet.

Zu Beginn des zweitägigen Spitzentreffens standen vor allem Beratungen über die beiden großen Konfliktherde auf der Tagesordnung von Bundeskanzler Olaf Scholz und den Staats- und Regierungschefs der anderen 26 EU-Staaten. Um Themen wie internationale Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union und Pläne für eine echte Kapitalmarktunion soll es erst an diesem Donnerstag gehen.

Scholz rief zu Beginn des Gipfels eindringlich dazu auf, mehr Waffen an die Ukraine zu liefern. »Der russische Angriffskrieg wird mit großer Brutalität unverändert vorgetragen und wir wissen, dass wir mehr tun müssen, als wir bisher machen, um die Ukraine zu unterstützen«, sagte der SPD-Politiker. Neben Munition und Artillerie benötigten die ukrainischen Streitkräfte insbesondere Luftverteidigungssysteme.

Scholz fordert Partner zum Nachgucken auf

Scholz verwies darauf, dass die Bundesregierung sich bereits für die Lieferung eines weiteren Patriot-Flugabwehrraketensystems entschieden hat. Die »furchtbaren« russischen Luftangriffe zeigten, »dass das notwendig ist, genau da etwas zu machen«, sagte der Kanzler. Bei dem Brüsseler Spitzentreffen werde es für ihn auch darauf ankommen, viele andere davon zu überzeugen, »dass sie noch mal nach Hause fahren und gucken: Was geht da«. Es müsse jetzt schnell gehandelt werden.

Mit Blick auf die dramatische Lage im Nahen Osten appellierte Scholz am Mittwochabend erneut an Israel, nicht mit einem eigenen massiven Angriff auf Irans Raketen- und Drohnenbeschuss zu antworten. Israel solle stattdessen den Erfolg bei der Abwehr des Angriffes nutzen, um seine eigene Position in der ganzen Region zu stärken, sagte er.

Gleicher Schutz für jeden Himmel?

In seiner Rede via Video vor den Staats- und Regierungschefs verwies der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf die erfolgreiche Abwehr des iranischen Raketen- und Drohnenangriffs auf Israel. »Leider haben wir in der Ukraine, in unserem Teil Europas nicht das Niveau an Verteidigung, dass wir vor einigen Tagen im Nahen Osten gesehen haben«, sagte er. »Unser ukrainischer Himmel und der Himmel über unseren Nachbarn verdient die gleiche Sicherheit.« Die Ukraine brauche mehr Flugabwehrwaffen, sagte er und nannte als eine Begründung den russischen Raketenangriff auf die Stadt Tschernihiw vom Mittwoch mit 17 Toten. Er dankte Deutschland für die Bereitschaft, ein drittes Patriot-System abzugeben. 

Angst vor Krieg zwischen Israel und Iran

Nach dem iranischen Großangriff auf Israel am Wochenende ist die Sorge in der EU groß, dass sich der Konflikt bei einem harten israelischen Gegenschlag weiter ausbreiten könnte. Auslöser der iranischen Attacke war ein mutmaßlich israelischer Angriff auf die iranische Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus gewesen. Dabei waren zu Beginn des Monats unter anderem zwei Generäle der iranischen Revolutionsgarden getötet worden.

In einem Entwurf für die Abschlusserklärung des Gipfels werden Israel und der Iran zu einem Verzicht auf weitere Angriffe gegeneinander aufgerufen. »Der Europäische Rat (...) fordert alle Parteien nachdrücklich auf, äußerste Zurückhaltung zu üben und keine Maßnahmen zu ergreifen, die die Spannungen in der Region verstärken könnten«, heißt es in dem Text. Die EU sei bereit, mit allen Partnern zusammenzuarbeiten, um eine weitere Eskalation der Spannungen zu vermeiden.

Revolutionsgarden könnten auf Terrorliste kommen

Bei dem Gipfel sollte zudem der Wille für weitere EU-Sanktionen gegen den Iran bekräftigt werden, insbesondere im Zusammenhang mit Drohnen und Raketen. Scholz machte zudem deutlich, dass er auch einen möglichen Ansatz für die von Israel geforderte Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation sieht. Es gebe ein Urteil zu der Frage der Aktivitäten dieser Organisation, erklärte er. Dies könnte ein Ausgangspunkt für die Listung der Revolutionsgarden sein. Eine juristische Prüfung in der EU zu dem Thema laufe derzeit.

Eine Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation wird von Israel bereits seit langem gefordert, nach dem iranischen Angriff vom Wochenende war dies noch einmal bekräftigt worden. In der Vergangenheit hatte die EU immer betont, eine Terror-Listung der Garden sei derzeit rechtlich nicht möglich, weil es dafür eine nationale Gerichtsentscheidung oder Verbotsverfügung einer Verwaltungsbehörde brauche.

Im vergangenen Dezember hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf aber ein Urteil wegen eines versuchten Anschlags auf eine Synagoge in Bochum gefällt, auf das sich Scholz nun wohl bezogen hat. Damals war ein Deutsch-Iraner wegen Verabredens einer schweren Brandstiftung und versuchter Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden (Aktenzeichen III-6 StS 1/23). 

Neue Sanktionsforderungen gegen Russland

Belgien und Tschechien kamen zudem mit neuen Sanktionsforderungen gegen Moskau zu dem Spitzentreffen - angesichts einer möglichen russischen Unterwanderung der kommenden Europawahlen. »Wir können nicht zulassen, dass Russland mit einem solch eklatanten Angriff auf unsere demokratischen Institutionen und Grundsätze davonkommt«, schrieben die Regierungschefs beider Länder in einem Brief. Deswegen sei es an der Zeit für ein neues Sanktionsregime. Damit ist der rechtliche Rahmen gemeint, in dem Strafmaßnahmen gegen Personen und Organisationen verhängt werden können.

Belgiens Justiz ermittelt derzeit wegen Hinweisen prorussischer Einmischungsnetzwerke mit Aktivitäten in mehreren europäischen Ländern zu einem Einflussversuch Moskaus auf die im Juni anstehenden Europawahlen. Tschechien hatte zudem Ende März nach Geheimdienstermittlungen die prorussische Internetplattform »Voice of Europe« (VoE) auf die nationale Sanktionsliste gesetzt.

© dpa-infocom, dpa:240417-99-714377/3