INCHEON. Die Risiken der Erderwärmung lassen sich nach Ansicht des Weltklimarats IPCC durch die Begrenzung auf 1,5 Grad einigermaßen einschränken.
Dies Ziel könne aber nur durch einen raschen Wandel auf allen Feldern erreicht werden. Zwei Monate vor dem nächsten UN-Klimagipfel warnen die Forscher in einem Bericht davor, was schon bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius passieren kann - und erst recht bei 2 Grad.
»Die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, erfordert rasche, weitreichende und beispiellose Veränderungen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft«, erklärte der IPCC am Montag im Anschluss an eine mehrtägige Sitzung in der südkoreanischen Küstenstadt Incheon. Es gehe um Veränderungen in den Bereichen Energie, Industrie, Gebäude, Transport, in den Städten und auf dem Land. Beobachter beschrieben den Sonderbericht als politischen Weckruf.
»Eine der Kernaussagen des Berichts ist: Wir sehen derzeit bereits die Konsequenzen von einem Grad Erderwärmung wie mehr Extremwetter, steigende Meeresspiegel, schwindendes arktisches Meereis und andere Veränderungen«, sagte der Co-Vorsitzende einer IPCC-Arbeitsgruppe Panmao Zhai.
»Der Sonderbericht sendet ein klares Signal an die Politik: jetzt handeln, es ist fast schon zu spät,« kommentierte Niklas Höhne von der niederländischen Universität Wageningen. »Vielen in der Politik war vielleicht noch nicht klar, worauf sie sich eingelassen haben, als sie 2015 in Paris dem Ziel zugestimmt haben, den globalen Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.«
Das Papier zeigt einige klare Unterschiede zwischen einer Erwärmung von 1,5 und einer von 2 Grad. Der globale Meeresspiegel würde bis zum Ende dieses Jahrhunderts bei 1,5 Grad Erwärmung um 10 Zentimeter weniger klettern als bei 2 Grad. »Das würde beinhalten, dass 10 Millionen weniger Menschen den Risiken ausgesetzt wären, wie der Versalzung von Äckern oder Überschwemmungen durch Stürme in küstennahen Gebieten«, sagt IPCC-Autor Wolfgang Cramer. »Das Nildelta und andere Flussdeltas erleben schon jetzt Verluste an Landfläche durch eindringendes Meerwasser.«
Einen eisfreien Arktischen Ozean im Sommer gibt es laut IPCC bei 1,5 Grad wahrscheinlich einmal pro Jahrhundert, bei 2 Grad vermutlich »mindestens einmal pro Jahrzehnt«. Auch warnen die Autoren, dass etwa 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe verschwinden, wenn es um 1,5 Grad wärmer wird als vor der Industrialisierung. »Mit 2 Grad wären praktisch alle verloren.« Bei 2 Grad Erwärmung könnten deutlich weniger Fische gefangen werden.
Einig sind sich die meisten Forscher, dass die Welt ohne zusätzliche Anstrengungen auf 3 bis 4 Grad Erwärmung zusteuert. Im Klimaabkommen von Paris hatten die Länder eine Obergrenze von deutlich unter zwei Grad Erwärmung beschlossen. Es sollte auf Drängen kleiner Inselstaaten zudem versucht werden, sie bei 1,5 Grad zu stoppen.
Der Weltklimarat wurde damit beauftragt, einen Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel zu erstellen. Er analysierte daraufhin über 6000 Studien. Die Zusammenfassung des neuen Berichts wurde in der vergangenen Woche mit Vertretern von 195 Staaten abgestimmt, so dass diese nun ein politisches Gewicht hat. Die Daten sind auch Grundlage für die Weltklimakonferenz im Dezember im polnischen Kattowitz. Der globale Ausstoß etwa von Kohlendioxid (CO2) müsste nach dem IPCC-Bericht für das 1,5-Grad-Ziel von 2010 bis 2030 um 45 Prozent fallen und im Jahr 2050 Null erreichen.
Nach dem neuen IPCC-Bericht kann der Mensch im Vergleich zu älteren Berichten möglicherweise etwas mehr CO2 ausstoßen, um dennoch dass 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Für den Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, ist das kein Grund zur Entspannung. »Gegenüber früheren Abschätzungen des IPCC haben wir höchstens einen Zeitgewinn von sieben Jahren.« Der sei aber »schon längst verfrühstückt« angesichts der geplanten und existierenden Kohlekraftwerke, die oft noch Jahrzehnte CO2 ausstießen. »Es gibt zwar keinen Grund zum Fatalismus, aber es gibt einen gewaltigen Handlungsdruck. Wenn wir global nicht bald aus der Kohle aussteigen, schlagen wir die Tür zum 1,5-Grad-Ziel ein für alle Mal zu.«
Der Bericht zeigt vor allem Szenarien auf, die nicht zu einem sogenannten Overshoot führen, einer kurzzeitigen Überschreitung des 1,5-Grad-Ziels. Beim Overshoot müssten der Mensch später mehr CO2 aus der Atmosphäre ziehen als er produziert. Das kann durch sogenanntes Geoengineering geschehen. Die Techniken dazu sind im großen Maßstab jedoch noch ungeprüft. Einige könnten zudem große Risiken bergen, warnen die IPCC-Autoren.
»Dem Thema Geoengineering wird im IPCC-Report zum Glück eine deutliche Absage erteilt«, sagte die Referentin für Internationale Klimapolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung, Linda Schneider, die an der Debatte in Incheon teilgenommen hatte. Dagegen gebe es die Möglichkeiten der CO2-Bindung durch die Wiederherstellung von natürlichen Ökosystemen, »vor allem Wäldern, die der Bericht wegen ihrer Vorteile für Biodiversität, Bodenqualität und lokaler Ernährungssicherheit« als sehr positiv bewerte, betonte Lindner.
Angesichts der Erderwärmung gründeten zwei UN-Organisationen bereits vor 30 Jahren den Weltklimarat IPCC, der inzwischen fast 200 Mitgliedsländer hat. Er soll aufzeigen, wie sich der Klimawandel auf Natur und Mensch auswirkt, wie er gebremst werden kann und welche Anpassungsstrategien es gibt. Das Gremium mit Sitz in Genf forscht nicht selbst, sondern sammelt wissenschaftliche Daten und wertet sie aus. Seinen jüngsten umfassenden 5. Report präsentierte es in drei Teilen 2013/2014.
Im Klimaabkommen von Paris wurde 2015 beschlossen, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst sogar auf 1,5 Grad zu begrenzen. Letzteres hatten vor allem die kleinen Inselstaaten gefordert. Der Weltklimarat sollte beschreiben, welche Folgen eine Erwärmung von 1,5 Grad haben wird und was alles getan werden muss, damit die Temperatur nicht noch weiter klettert. Das hat er mit dem jüngsten Sonderreport nun getan.