Mit seiner Tochter auf dem Arm lässt Mohammed Talatene im Gazastreifen sein Zuhause zurück. Es sei kurz nach Mitternacht gewesen, als sie vom israelischen Militär aufgefordert wurden, den Norden des Gazastreifens zu verlassen, berichtet der dpa-Fotograf. »Meine Frau trug meine andere Tochter.« Sie seien zu Fuß unterwegs gewesen. Benzin für Autos gebe es kaum noch.
»Alle Häuser sind zerstört, und es gibt keine Kommunikations- oder Transportmöglichkeiten«, beschreibt Talatene die dramatische Lage vor Ort. »Ich rechne damit, dass ich jeden Moment durch die Explosionen sterben werde.« Er würde gerne mit seinen Töchtern zu einem sicheren Ort laufen. Doch diesen gebe es nicht.
Straßenzüge in Schutt und Asche
Seit Tagen greift Israels Luftwaffe als Reaktion auf ein Massaker der islamistischen Hamas Ziele im Gazastreifen an. Rund 1800 Palästinenser wurden seither getötet. Mehr als 6600 Menschen wurden verletzt, darunter rund 580 Minderjährige und 350 Frauen.
Augenzeugen berichten von Straßenzügen in Schutt und Asche, Krankenhäuser, die keine Patienten mehr aufnehmen können, Lebensmittel, die sich dem Ende neigen. Menschen in Panik. Auf Videos in sozialen Netzwerken sieht man Dutzende Menschen auf Lkw-Ladeflächen mit Taschen und Rucksäcken. Andere Bilder zeigten wie Menschen mit Eselskarren oder zu Fuß auf der einzigen Hauptstraße des Gazastreifens Richtung Süden.
Eine große Zahl von Gaza-Bewohnern habe sich bereits aufgemacht, berichteten Augenzeugen. Andere warteten am Freitagmorgen noch immer auf klare Anweisungen. In den israelischen Aufruf, der unter anderem mit Flugblättern auf Arabisch verbreitet wurde, hieß es, die Menschen sollten sich südlich von Wadis Gaza begeben.
Das Flussbett teilt den Küstenstreifen in zwei Hälften. Die Vereinten Nationen forderten Israel umgehend auf, die Anweisung zu widerrufen. Es drohe eine »katastrophale Situation«.
Hamas ruft zum Verbleib auf
Die Hamas versuchte, Zivilisten davon abzuhalten, dem israelischen Aufruf zu folgen. Sie sollten nicht auf die »Propagandanachrichten« reinfallen. Berichten zufolge sollen auch Straßensperren errichtet worden sein. Die fliehende Bevölkerung wurde offiziell von der Hamas aufgerufen, wieder in den Norden zu gehen.
Das israelische Militär warf der Palästinenserorganisation vor, ihre eigene Bevölkerung als »Schutzschild« zu missbrauchen. Die Hamas-Terroristen versteckten sich in Gaza in Tunneln unter Häusern und in Gebäuden von Zivilisten, hieß es von einem Sprecher.
Unterdessen dauerten die Luftangriffe und Bombardierungen Israels weiter an. Das UN-Hilfswerk UNRWA spricht von einem »Höllenloch«. Der Gazastreifen stehe am Rande des Zusammenbruchs. »Das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der sich die humanitäre Krise entwickelt, sind erschreckend«, heißt es in einer Mitteilung der Organisation. Alle Parteien seien aufgefordert, die Gesetze des Krieges einzuhalten. »Es ist an der Zeit, dass die Menschlichkeit die Oberhand gewinnt.«
Frage nach dem wohin
Eine Evakuierung binnen 24 Stunden, die laut UN rund 1,1 Millionen Menschen betrifft, stellt Hilfsorganisation vor eine schier unmögliche Herausforderung. Der Direktor des größten Krankenhauses im Gazastreifen, Mohammed Abu Salima, hält sie für seine Einrichtung ausgeschlossen. »Wo sollen sie hin? Wir können die Patienten nirgendwohin transportieren«, sagte Abu Salima der »New York Times«.
Die Frage nach dem wohin beschäftigt auch die Menschen im Gazastreifen. Das Gebiet, das von der Fläche in etwa so groß ist wie München, ist seit Tagen komplett abgeriegelt. Der einzige Grenzübergang nach Ägypten wurde zerstört, auch nach Israel gibt es keinen Ausweg.
Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi deutete diese Woche bereits an, dass das Land die Aufnahme von palästinensischen Flüchtlingen vermeiden will. Palästinenser in Gaza müssten »standhaft und auf ihrem Land bleiben«.
Ein Sprecher des israelischen Militärs bekräftigte zwar, die Armee wolle die »die Attacken kontrollieren«, damit sich die Zivilisten sicher bewegen könnten. Er ergänzte aber gleichwohl, der Gazastreifen sei eine »Kriegszone«.
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