Die Wehrbeauftragte Eva Högl hält für die Beschaffung von neuer Munition der Bundeswehr im Wert von mindestens 20 Milliarden Euro einen mehrjährigen und mit der Industrie abgestimmten Plan für nötig.
Es sei nachvollziehbar, dass Rüstungsunternehmen solche Zusagen verlangten, wenn sie jetzt Produktionskapazitäten hochfahren sollen, sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Högl: »Wir brauchen jetzt einen Fahrplan, ein abgestimmtes Vorgehen mit verbindlichen Vereinbarungen mit der Rüstungsindustrie, wann welche Munition wo, in welchem Zeitraum produziert werden kann. Das ist jetzt der Auftrag, am besten europäisch abgestimmt.«
Högl kritisierte, dass die umfangreiche und drängende Beschaffung von Artilleriegranaten, Raketen und anderen Munitionssorten nicht schon wesentlich als Teil des 100-Milliarden-Sondertopfes für die Vollausrüstung der Streitkräfte angelegt wurde. »Expertinnen und Experten, die sich schon etwas länger mit Munition befassen, wissen um diesen enormen Mangel. Deswegen war ich verwundert, dass das im Sondervermögen nicht abgebildet war«, sagte Högl. »Ein zweistelliger Milliardenbetrag ist in dem jährlich aufgestellten Verteidigungsetat schwer zu hinterlegen. Es gibt einen enormen Nachholbedarf.«
Kritik an Lambrecht wächst
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sieht sich wegen der Munitionskrise der Bundeswehr wachsender Kritik ausgesetzt. Zwar sind die leeren Depots länger geduldet worden und in den vergangenen Jahren unter politischer Verantwortung von Verteidigungsministern der Union leergelaufen. Aus der Opposition und auch der Ampel-Koalition wird aber Unverständnis darüber lauter, dass in den gut neun Monaten seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wenig bestellt wurde.
Das Finanzministerium von Christian Lindner (FDP) hatte in einem Antwortschreiben auf weiterhin erhebliche Defizite im Beschaffungswesen für die Bundeswehr hingewiesen. Die Industrie habe bei einem Spitzentreffen komplizierte, teils intransparente und inkonsequente Bedarfsplanung des Verteidigungsministeriums beklagt, so das Finanzministerium in einem Brief. Kritisiert worden seien Versuche des Wehrressorts, »aus bestehenden Ausgabenresten« Munition zu beschaffen. Das Bundesfinanzminister verwies auf gestiegene Verteidigungsetats und das 100-Milliarden-Sondervermögen.
»Wir können denen nicht sagen, es gibt für ein halbes Jahr eine Finanzierungszusage, aber ob der Bundestag sie auch im nächsten Jahr geben kann, wissen wir noch nicht. Die Industrie braucht Planbarkeit. Und deswegen halte ich viel davon, Verträge über mehrere Jahre abzuschließen«, sagte Högl. Und: »Vonseiten der Industrie muss ehrlich auf den Tisch, in welchem Zeitrahmen sie welche Kapazitäten aufbauen und welche Munition sie dann auch produzieren kann.«
Die Materiallage hat sich verschlechtert
Nach ihrem Eindruck findet die Militärhilfe für die Ukraine in der Bundeswehr breite Unterstützung, allerdings seien auch die Konsequenzen spürbar. »Wir haben jetzt eine schlechtere Materiallage als vor dem 24. Februar, weil viel abgegeben wurde, aber noch nichts wieder ersetzt wurde. Das beunruhigt die Truppe. Es gibt eine enorme Erwartungshaltung, dass sich was verändert«, sagte Högl. »Dass Waffensysteme an die Ukraine abgegeben wurden, war richtig und wichtig, sie fehlen aber bei Ausbildung und Übung. Jetzt müssen die Systeme, die noch da sind, zügig instand gesetzt werden und schnell Ersatzteile geliefert werden, damit sie bald wieder der Truppe zur Verfügung stehen.«
Aus dem 100-Milliarden-Euro Sondervermögen resultiere eine »große Erwartungshaltung, und die darf nicht enttäuscht werden«, sagte die Wehrbeauftragte. »Die Soldatinnen und Soldaten erwarten zu Recht, dass sich jetzt spürbar etwas ändert. Das fängt mit einfachen Dingen an. Helm, Weste in der richtigen Größe zur richtigen Zeit, Socken, Stiefel, Rucksack, Nachtsichtgeräte, Funkgeräte und geht dann weiter über das große Gerät.«
Die Soldaten nehmen den Auftrag aus der Zeitenwende nach der Einschätzung von Högl »sehr ernsthaft, sehr professionell an«. Högl sagte: »Sie wissen ganz genau, was sich seit dem 24. Februar verändert hat. Ich würde das nicht für alle, die im System Bundeswehr Verantwortung tragen, so formulieren.«
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