Es ist ein weiterer Schlag für die Linke. Nun kündigt auch der langjährige Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch seinen Rückzug an - nur wenige Tage nach seiner Co-Vorsitzenden Amira Mohamed Ali. Damit verliert die vom Richtungsstreit mit Sahra Wagenknecht zerrüttete Partei eines ihrer bekanntesten Gesichter.
Wer die Lücke füllen soll, ist unklar. Wagenknechts Umfeld sieht längst »Auflösungserscheinungen«. Doch Bartsch gibt sich ausgerechnet zum Abschied trotzig optimistisch für die Linke. »Das war's noch lange nicht!«, schrieb er an die Fraktion.
Die Partei scheint sich seit Monaten mit Lust selbst zu zerlegen. Im Zentrum steht Wagenknecht, die einst selbst Fraktionschefin neben Bartsch war. Erschöpft gab sie ihr Spitzenamt 2019 auf, doch blieb sie bundesweit die wohl prominenteste Genossin. Als solche bürstet sie gern gegen den Strich. Zur 2022 gewählten Parteispitze Janine Wissler und Martin Schirdewan ging Wagenknecht sofort auf Konfrontation. Bei Themen wie Klimaschutz, Migration und Ukraine-Krieg vertritt sie ganz eigene Positionen.
Balanceakt am Abgrund der Spaltung
Als Wagenknecht dann sehr offen mit der Gründung einer Konkurrenzpartei liebäugelte, wagten Wissler und Schirdewan im Juni den Bruch und forderten von der Bundestagsabgeordneten die Aufgabe ihres Mandats. Wagenknecht folgte dem nicht, aber seither bewegen sich Partei und Fraktion immer waghalsiger am Abgrund der Spaltung. Gründet Wagenknecht wirklich eine neue Partei, dürften mehrere der 39 Bundestagsabgeordneten die Linke mit ihr verlassen. Mit weniger als 37 Mandaten aber wäre der Fraktionsstatus verloren und damit Geld, Posten und Einfluss der kleinen Oppositionspartei. Bei der Bundestagswahl 2021 erreichte sie nur noch 4,9 Prozent - und besser sieht es in Umfragen derzeit auch nicht aus.
Es liegt nahe anzunehmen, dass Bartsch sich den Weg ins mögliche Fiasko mit seinen 65 Jahren nicht mehr antun wollte. Sein Schreiben an die Genossinnen und Genossen stellt es aber anders dar. Die Entscheidung, den Fraktionsvorsitz nach acht Jahren abzugeben, »sei lange vor der letzten Bundestagswahl gefallen«, schrieb er. Zwar hätten viele ihn wegen der für die Partei nicht leichten Situation gedrängt, bei der Neuwahl der Fraktionsspitze am 4. September doch noch einmal zu kandidieren. Aber: »Letztlich bin ich bei meiner Entscheidung geblieben.«
Bei einem kurzen Auftritt auf der Fraktionsebene im Reichstagsgebäude gab Bartsch auch nicht mehr Einblicke, warum er sich nicht noch einmal überzeugen ließ. Es sei »keine leichte Entscheidung« gewesen, sagte er. Und betonte dann mehrfach ausdrücklich, dass er sich ja weiter für die Linke und für den Erhalt der Fraktion einsetzen werde. Sein Engagement sei immer intensiv gewesen. »Das wird auch intensiv bleiben«, sagte Bartsch.
Bartsch bekleidet über Jahrzehnte hohe Parteiämter
Bartsch ist seit 2015 Co-Vorsitzender der Bundestagsfraktion, zuerst zusammen mit Wagenknecht, zuletzt mit Mohamed Ali. Auch vorher bekleidete der Mann aus Mecklenburg-Vorpommern jahrzehntelang hohe Parteiämter. Lange war er Bundesgeschäftsführer der Vorgängerpartei PDS und dann auch der 2007 neu gegründeten Linken. 2012 kandidierte er als Parteichef, verfehlte aber die nötige Mehrheit. 2017 war Bartsch neben Wagenknecht Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, 2021 trat er mit Parteichefin Wissler an.
Wer eine seit Jahrzehnten so bekannte Persönlichkeit ersetzen soll, blieb zunächst offen. In anderen Parteien würde sich wohl jetzt die Vorsitzende in Stellung bringen - Wissler gehört dem Bundestag an. In der Linken allerdings gibt es sofort Geraune, Wissler sei doch viel zu schwach und unbekannt. Das gilt womöglich auch für andere denkbare Bewerberinnen und Bewerber aus der zweiten Reihe. Fraktionsvizechefin Gesine Lötzsch wird bisweilen genannt oder der Ostbeauftragte der Fraktion, Sören Pellmann. Beide haben bei der Bundestagswahl 2021 Direktmandate gewonnen und deshalb in der Fraktion Gewicht. Das gilt auch für Gregor Gysi, der mit 75 Jahren allerdings zu einem Amt wohl schwer überredet werden müsste.
»Linke in Auflösungserscheinungen«
Nach Bartschs Ankündigung herrschte nach außen hin erstmal Schweigen. Die zerstrittenen Lager interpretierten seinen Rückzug jeweils für sich. Wissler und Schirdewan äußerten Bedauern, Respekt und Dank. Zugleich zählten sie Bartsch zu ihren Verbündeten »im Kampf um eine starke und geeinte Linke«. Der Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich, ein Unterstützer Wagenknechts, meinte hingegen, auch Bartsch verlasse das sinkende Schiff. »Die Linke befindet sich ganz offensichtlich in Auflösungserscheinungen«.
Dem hielt Bartsch in seinem Schreiben an die Abgeordneten einen Appell entgegen: »Viele schwadronieren aktuell wieder über das Ende der Linken. Sie werden sich ein weiteres Mal irren, wenn die Werte, um die wir in der Gesellschaft kämpfen wie Menschlichkeit, Solidarität, Herzlichkeit und viel Lächeln wieder unser Handeln bestimmen und wir zugleich aus der Geschichte linker Parteien die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen.« Herzlichkeit und Lächeln? War bei der Linken zuletzt eher selten zu finden.
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