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Wahlkampf-Zankapfel: Über 150.000 Migranten in New York

Rund 150.000 Menschen sind jüngst neu nach New York gekommen. Dort bekommen sie viel Unterstützung - aber die Stadt gerät auch an die Kapazitätsgrenzen. Die Republikaner fühlen sich bestätigt.

Migranten in New York
Viele der Migranten in New York kommen aus süd- und mittelamerikanischen Ländern. Foto: Andrea Renault/DPA
Viele der Migranten in New York kommen aus süd- und mittelamerikanischen Ländern.
Foto: Andrea Renault/DPA

Die US-Metropole New York sieht zum Jahresende auf einen zuletzt ungekannten Zustrom von Migranten und Flüchtlingen zurück: Mehr als 150.000 Einwanderer kamen in den vergangenen anderthalb Jahren in der Stadt an der Ostküste an. In manchen Wochen waren es gleich mehrere Tausende, und sie kamen aus aller Welt.

Nun, zu Beginn des Winters, droht die Stadt mit acht Millionen Einwohnern an die Grenzen ihrer Kapazitäten zu geraten. Der demokratische Bürgermeister Eric Adams fand jüngst drastische Worte: »Dieses Thema wird New York City zerstören.«

Damit spielt Adams vor allem auf fehlende Unterkünfte und finanzielle Ressourcen der Stadt an, um sich um die Ankömmlinge zu kümmern. Einer der Gründe, warum New York so viele Menschen anzieht, ist die rechtliche Verpflichtung der Stadt, jedem, der darum bittet, eine Unterbringung für die Nacht zu gewähren. In der Praxis klappt das schon längst nicht mehr immer und auch rechtlich wird das Gesetz immer wieder, darunter auch von Adams, infrage gestellt. Fast 70.000 der Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber, die hauptsächlich aus süd- und mittelamerikanischen Ländern wie Venezuela kommen, sind von der Stadtverwaltung in städtischen Notunterkünften untergebracht worden, wo sich zuvor bereits Zehntausende Obdachlose befanden.

»Lasst es mich euch sagen, New Yorker: Noch nie in meinem Leben hatte ich ein Problem, bei dem ich das Ende nicht gesehen habe - aber ich sehe hier kein Ende«, sagte Adams schon vor Wochen. Rund zwölf Milliarden US-Dollar (etwa elf Milliarden Euro) würden die Neuankömmlinge die als liberal und offen geltende Stadt im Verlauf von drei Jahren kosten, rechnete Adams vor und verhängte noch im Herbst den Notstand. Ein Ende des Zustroms sehen auch andere Beobachter und Experten nicht.

»New families« verändern das Stadtbild

Die meisten Einwanderer, darunter auch Menschen aus Afrika und Asien, kommen auf dem teils sehr gefährlichen Landweg über die Südgrenze der USA. Von dort aus gelangen viele nach New York - entweder mit Bussen, organisiert unter anderem vom republikanischen Gouverneur von Texas, Greg Abbott, oder selbstständig. Es ist politische Taktik republikanischer Gouverneure südlicher Bundesstaaten, Migranten in demokratisch geprägte Teile des Landes zu schaffen. Viele Migranten wollen aber auch von selbst nach New York - weil sie dort Verwandte oder Bekannte haben, oder weil sie die Stadt aus Film und Fernsehen kennen und sich dort viele Arbeitsmöglichkeiten versprechen.

Viele der Einwanderer, aber bei weitem nicht alle, halten sich illegal in den USA auf. Zehntausende haben bereits Asylanträge gestellt, deren Bearbeitung kann aber viele Monate dauern. Im September hatte die demokratische Regierung von US-Präsident Joe Biden angekündigt, venezolanischen Einwanderern schneller die Arbeitserlaubnis zu gewähren, damit sie so rascher für sich selbst sorgen könnten - die erhoffte Wirkung hatte das aber bislang nicht. In New York arbeiten viele der Einwanderer ohne offizielle Erlaubnis beispielsweise auf dem Bau. Frauen und Kinder verkaufen häufig Süßigkeiten in der U-Bahn. Die »new families« (neuen Familien), wie sie von vielen New Yorkern genannt werden, haben das Stadtbild für Einwohner und Besucher deutlich sichtbar verändert.

Frage von Leben und Tod - vor allem im Winter

Gerade zu Beginn der kalten Jahreszeit wachsen die Sorgen rund um die fehlenden Unterkünfte in der Stadt. »Je kälter das Wetter wird, desto mehr wird das eine Frage von Leben und Tod«, warnte der Chef des Obdachlosen-Verbandes Coalition for the Homeless der »New York Daily News«. »Das wird schlimm.«

Neben vorhandenen Notunterkünften hat die Stadtverwaltung Hotels umfunktioniert oder Zeltstädte in Parks und auf Freiflächen errichten lassen. Auch der Central Park, Kreuzfahrtschiffe und Schulturnhallen wurden schon in Erwägung gezogen. Mancherorts protestieren Anwohner, insgesamt aber bekommen die Neuankömmlinge überwiegend Unterstützung. Zahlreiche Organisationen sammeln Spenden und helfen den Einwanderern mit Informationen und Übersetzungen.

Viele Kinder besuchen bereits öffentliche Schulen in der Stadt, in manchen Klassen sitzen mehr als ein Dutzend. »Unsere Schule hat die wunderbare Gelegenheit bekommen, Familien aus Zentral- und Südamerika in unsere Schulgemeinschaft willkommen zu heißen, die in unserem Land Asyl suchen«, schrieb eine Schuldirektorin auf der noblen Upper West Side von Manhattan an die Eltern einer Grundschule. Spanischsprachige Eltern halfen bei der Eingewöhnung, so dass einige Kinder schon nach wenigen Monaten im englischen Unterricht mithalten konnten.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Bürgermeister Adams hieß die Migranten anfangs willkommen, mittlerweile versucht er aber ganz offen, sie von der Reise nach New York abzuhalten. Er flog mit entsprechenden Botschaften dafür nach Mexiko, Ecuador und Kolumbien und ließ an der US-Grenze Flugblätter verteilen, die mehr oder minder sagen: Kommt nicht nach New York. Mittlerweile ordnete er an, dass obdachlose Migranten mit Kindern nur mehr 60 Tage in den Unterkünften bleiben dürfen, alleinstehende Erwachsene 30 Tage. Dann müssen sie erneut um Unterkunft ansuchen - mit ungewissem Erfolg.

Adams und die Gouverneurin des Bundesstaates, Kathy Hochul, machen die Regierung von US-Präsident Joe Biden für fehlende Unterstützung verantwortlich. Diese wiederum stellte das Management der Herausforderung in New York infrage. Ein Krisentreffen im Dezember blieb erfolglos. »Hilfe ist nicht auf dem Weg«, kommentierte Adams danach. Den Republikanern spielt es in die Hände, dass das Thema Keile zwischen Parteifreunde treibt.

Die illegale Einwanderung ist auch eines der dominierenden Themen im Wahlkampf für die 2024 anstehende Präsidentschaftswahl in den USA. Die Republikaner, für die sich unter anderem Ex-Präsident Donald Trump wieder als Kandidat bewirbt, werfen dem demokratischen Präsidenten Biden vor, nicht hart genug dagegen vorzugehen. Die Demokraten wiederum werfen den Republikanern vor, Gesetzesinitiativen zu dem Thema zu blockieren und sich nicht konstruktiv an Lösungen zu beteiligen.

Das Beispiel New York liefert den Republikanern Munition und setzt Biden vor der Wahl zusätzlich unter Druck. Zwar wählt der Bundesstaat New York, getrieben vor allem durch die gleichnamige Metropole, meist verlässlich für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten - auf lokaler Ebene und bei Kongresswahlen könnten sich mit dem Migrationsthema aber auch republikanische Kandidaten durchsetzen, mit Folgen auch für Washington.

© dpa-infocom, dpa:231227-99-415845/2