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Von Anschlägen geschockt wählt Afghanistan neues Parlament

Für die westlichen Geldgeber ist die Parlamentswahl in Afghanistan ein wichtiger Testlauf für die Präsidentenwahl im kommenden Frühjahr. Die Sicherheitslage ist angespannt, das Vertrauen der Menschen in das System gering. Und nicht überall kann gewählt werden.

Parlamentswahlen in Afghanistan
Wahlplakate der Kandidaten für die Parlamentswahl säumen eine Straße in Kabul. Mit mehr als drei Jahren Verspätung wird das afghanische Parlament gewählt. Foto: Rahmat Gul/AP
Wahlplakate der Kandidaten für die Parlamentswahl säumen eine Straße in Kabul. Mit mehr als drei Jahren Verspätung wird das afghanische Parlament gewählt. Foto: Rahmat Gul/AP

Kabul (dpa) - Mit mehr als dreijähriger Verspätung wird in Afghanistan am Samstag ein neues Parlament gewählt. Die Wahl findet angesichts der angespannten Lage unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt.

Fast ein Drittel der Wahllokale bleibt geschlossen. Erst vor wenigen Tagen waren bei Anschlägen im Süden des Landes der berüchtigte Polizeichef von Kandahar, Abdul Rasik, und der einflussreiche Parlamentarier Abdul Dschabar Kahraman getötet worden. Rasik galt als der starke Mann im Südosten des Landes, auf den die US-Truppen zur Sicherung der Region gegen die Taliban alles gesetzt hatten. Wegen des Anschlags wurde die Wahl in der Provinz um eine Woche verschoben.

Welche Bedeutung haben die Parlamentswahlen für Afghanistan?

Die anstehende Wahl ist die dritten Parlamentswahl seit dem Fall der Taliban 2001 und die erste, die gänzlich von den Afghanen selbst organisiert und durchgeführt wird und bei der die afghanische Polizei und Armee für die Sicherheit verantwortlich sind. Die Geberländer haben in der Vergangenheit wiederholt betont, dass die Parlamentswahl ein wichtiger Testlauf für die im April 2019 anstehende Präsidentschaftswahl ist. Ein guter Ablauf werde zur Stabilisierung des Landes beitragen und die demokratischen Institutionen stärken. Viele hoffen zudem, dass eine neue Generation an Parlamentariern sich engagierter für die Belange der Menschen einsetzt. Verläuft die Wahl chaotisch, wird dies für noch mehr politische Unruhe in dem Land sorgen, das sich angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage, innenpolitischer Querelen und einer schlechten Wirtschaftslage ohnehin in einer schweren Krise befindet. Wie sieht die afghanische Bevölkerung die Wahl?

Bei Afghanen ist die Wahl nicht sehr populär, sagt Experte Thomas Ruttig von der Denkfabrik Afghanistan Analysts Network. Den Menschen sei klar, dass das Wahlsystem viele Unzulänglichkeiten aufweise. Bereits im Vorfeld gab es viel Kritik an der Organisation, der Art der Wählerregistrierung. Viele Seiten zweifelten angesichts der schlechten Sicherheitslage auch die hohe Zahl der registrierten Wähler - 8,8 Millionen - an. Entscheidungen der Unabhängigen Wahlkommission waren oft nicht transparent - etwa darüber, welche Kandidaten nicht zugelassen werden. Auch die Erfahrung von Wahlmanipulationen während vergangener Wahlen spielen eine Rolle. »Vielen ist nicht klar, ob am Ende die eigene Stimme auch zählen wird«, sagt Ruttig. Kurz vor der Wahl wurde ein biometrisches System zur Wählererkennung eingeführt. Wird dies alle Sorgen um befürchtete Wahlmanipulationen lösen?

Laut Unabhängiger Wahlkommission sollen nur jene Stimmen gezählt werden, die über das biometrische System kommen - also von Wählern, die bei der Stimmabgabe biometrisch erfasst werden. Für Ruttig ist das Vertrauen in die moderne Technologie zur Verhinderung von Wahlfälschungen »völlig unverständlich«. Es sei nicht klar, ob alle biometrischen Geräte rechtzeitig in den Wahllokalen ankommen, die Wahlleiter wüssten, wie die Geräte funktionieren, oder nicht auch die Wähler davon abgeschreckt würden. Es gab auch keinen Testlauf der Geräte. Außerdem könnte man sie - ebenso leicht wie bei vergangenen Wahlen ganze Urnen - vor der Auswertung verschwinden lassen, sagt Ruttig. Bis zuletzt war zudem unklar, wie mit Stimmen verfahren wird, die ohne biometrische Erfassung abgegeben werden, weil etwa die Geräte nicht funktionieren oder das Druckerpapier dafür nicht rechtzeitig geliefert wurde. Welche Rolle spielen die Taliban?

Die Taliban haben klar gemacht, dass sie die Wahl ablehnen, und haben zum Boykott aufgerufen. Wahlen würden das politische System stärken, dass sie bekämpfen. Von vielen Seiten wurde versucht, auf die Extremisten einzuwirken und sie zumindest dazu zu bewegen, still zu halten. Allerdings erfolglos: Anfang Oktober kündigten die Taliban an, die Durchführung der Wahl zu blockieren. Für Ruttig ist ihre Position nachvollziehbar: Um den Krieg zu beenden, sei ihnen in den vergangenen Monaten angeboten worden, zu verhandeln - darunter auch über Änderungen des politischen Systems. Nun würden aber Wahlen auf der Grundlage des alten Systems abgehalten. Das sei für die Taliban nicht akzeptabel. Welche Rolle spielt das Parlament in der afghanischen Politik?

Afghanistan ist ein Präsidialsystem. Das Parlament soll laut Verfassung ein Gegengewicht zur sehr zentralisierten Exekutive unter dem Präsidenten sein - dem »Palast«, wie man in Afghanistan sagt. Ruttig zufolge gibt es aber mittlerweile eine Tradition, dass die Präsidenten das Parlament eher ignorieren oder versuchen, es zu manipulieren. Insgesamt sei es das Parlament aber wichtig für Afghanistan, da sonst die »nicht sehr transparente« Exekutive unkontrolliert bliebe. Die Parlamentsmitglieder sind bei den Afghanen aber auch als korrupt und bevölkerungsfern verschrien.