Übernachtungen in Luxushotels, Interkontinentalflüge, Eintritt zu Fußballspielen: Deutsche Europaabgeordnete lassen sich auf ihren Reisen so manches von Dritten bezahlen. Dabei verstoßen zahlreiche Politiker gegen ihre Offenlegungspflichten, wie eine Auswertung der Deutschen Presse-Agentur ergibt. Mehrere deklarieren aber auch fristgerecht. Im Zuge des Korruptionsskandals um das EU-Parlament sind solche - zulässigen - Aufmerksamkeiten verstärkt in den Fokus geraten.
Die dpa hat alle EU-Abgeordneten der im Bundestag vertretenen Parteien gefragt, ob sie von Dritten bezahlte Reisen sowie Veranstaltungen und Geschenke in der laufenden Legislatur den internen Regeln des Parlaments zufolge korrekt offengelegt haben.
Wie transparent die Abgeordneten eigentlich sein müssten
Laut Parlamentsregeln müssen Abgeordnete von Dritten bezahlte Reisen und Geschenke, die sie in bestimmten Funktionen erhalten, spätestens zum Ende des Folgemonats melden und in einem öffentlichen Register publizieren. Dabei gibt es jedoch verschiedene Ausnahmen, die teils die Parlamentarier selbst nicht komplett durchdringen. Ein Beispiel: Mehrere Abgeordnete teilten mit, sie lassen derzeit vom Parlament prüfen, ob von örtlichen Behörden aus Sicherheitsgründen gestellte Fahrzeuge bei einer Ukraine-Reise unter die Meldepflicht fallen.
Was sich die Abgeordneten bezahlen lassen
Die Liste ist lang: Katarina Barley, eine der Vizepräsidentinnen des EU-Parlaments, hat sich den Unterlagen zufolge im November 2021 eine Nacht im Frankfurter Luxushotel Villa Kennedy bezahlen lassen, als sie auf einem Presseball war. Wenige Monate zuvor hatte die SPD-Politikerin eine Übernachtung im Fünf-Sterne-Hotel Le Méridien in Hamburg von der Organisation Strasburger Kreise bezahlt bekommen. Laut Website der Organisation hat sie in diesem Rahmen den 72 geladenen Gästen in ihrer Rede einen schonungslosen Blick auf die Europäische Union gegeben. Zudem war sie im Oktober 2021 bei einem Spiel des 1. FC Köln, ohne Eintritt zahlen zu müssen. Auf die Fragen zu den Reisen teilte Barley mit: »Ich habe insgesamt 13 Reisen angemeldet - unbeschadet der Tatsache, ob sie meldepflichtig sind oder nicht.«
Abgeordnete melden Reisen auch korrekt
Über die Reisen gibt es öffentliche Dokumente auf der Seite des Parlaments. Für Lena Düpont von der CDU sind unter anderem drei Nächte im Imperial Hotel New Delhi im Rahmen der »Indo-German Women's Leadership Initiative« vermerkt. Das Hotel beschreibt sich selbst als bestes Fünf-Sterne-Hotel im Finanzzentrum Neu-Delhis. Zudem verbrachte sie drei Nächte im Royal Beach Hotel in Tel Aviv, bezahlt von einer Organisation, die die deutsch-israelischen Beziehungen fördern will.
Ihr Parteifreund Andreas Schwab ließ sich ebenfalls zwei Nächte in diesem Hotel bezahlen, aber unter anderem auch einen Business-Class-Flug nach New York. Er teilte mit, alle Reisen hätten in engem Zusammenhang mit Informationsbedürfnissen für konkrete Gesetzgebungsprojekte gestanden. Bernhard Zimniok von der AfD verbrachte im Oktober 2019 auf Einladung zwei Nächte in einem Luxushotel in Indien. Die Reisen von Düpont, Schwab und Zimniok sind korrekt gemeldet und auf der Seite des Parlaments eingetragen worden.
Die meisten Reisen, die mindestens in Teilen von Dritten bezahlt wurden, hat der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer offengelegt - davon alle fristgerecht, meist bereits nach wenigen Tagen. Aus den Dokumenten zu den mehr als 20 Reisen geht hervor, dass die australische Regierung unter anderem für fünf Flüge - alle Business Class - und sieben Nächte in Hotels aufgekommen ist. Hintergrund ist den Angaben zufolge ein »Individuelles Special Visitors Programm« für Bütikofer. Wie aus weiteren Angaben des Abgeordneten hervorgeht, hatte er dort fast jeden Tag Treffen - etwa mit Universitäts-, Regierungs- und Wirtschaftsvertretern.
Mehr als jeder zehnte Abgeordnete beantwortet Fragen nicht
Insgesamt hat die dpa 85 Abgeordnete angefragt, 74 haben pünktlich geantwortet - was knapp 90 Prozent entspricht. Die mit je fünf Parlamentarierinnen und Parlamentariern kleinsten deutschen Delegationen von FDP und Die Linke antworteten vollzählig. Auch die 16 SPD-Abgeordneten antworteten geschlossen auf die gestellten Fragen. Von den Grünen gab es von 2 der 21 Abgeordneten keine pünktliche Rückmeldung - ein Abgeordneter meldete sich verspätet. Geringer fiel der Rücklauf bei der Union aus: Von 29 Mandatsträgern beantworteten 4 die Fragen nicht pünktlich, eine Antwort kam verspätet.
Nach Veröffentlichung der Recherche haben auch die übrigen Unions-Politiker auf die Anfrage reagiert. Sie hätten alle keine Reisen unternommen, die offengelegt werden müssten, hieß es. Auch meldepflichtige Geschenke haben sie demnach nicht erhalten. Anteilsmäßig antworteten die Politikerinnen und Politiker der Alternative für Deutschland (AfD) am häufigsten nicht - hier waren es vier von neun.
Wie viel geschlampt wird
Von den mehr als 30 Abgeordneten, die Reisen oder Geschenke offengelegt haben, haben nur 11 alle Fristen sicher eingehalten. Bei rund 20 war dies nicht der Fall. Zudem haben 14 erst nach der dpa-Anfrage Reisen oder Geschenke offengelegt, die bereits vorher hätten deklariert werden können. Hier gibt es keine großen Unterschiede zwischen den Parteien. Mit dabei sind sowohl Sozialdemokraten, Unionspolitiker Grüne und Liberale. Lediglich Linke und AfD fallen nicht auf. Wenn sich die Abgeordneten zu ihren Fehlern äußern, wird angegeben, die Fristen aus Versehen oder aus Unkenntnis versäumt zu haben.
Kritik von Antikorruptionsorganisation
»Die Abgeordneten nehmen die Erklärungen nicht ernst«, bemängelt Raphael Kergueno von der Organisation Transparency International. Es sei nicht überraschend, dass viele Erklärungen zu spät kämen. »Es herrscht eine Kultur der Straflosigkeit«, so Kergueno.
Was die Abgeordneten nun erwartet
Vermutlich nicht viel. Denn über Strafen entscheidet die Parlamentspräsidentin. Jüngst war Roberta Metsola erst selbst in die Kritik geraten - sie hatte eine von einer Weinbruderschaft für sie und ihren Mann bezahlte Nacht in einem französischen Luxushotel ebenfalls zu spät gemeldet. Von Sanktionen dafür war bislang nicht gesprochen worden.
© dpa-infocom, dpa:230213-99-574651/6