Die Zahl der von Armut bedrohten Menschen ist während der Corona-Pandemie in Deutschland auf einem neuen Höchststand gestiegen. Darauf wesit der Paritätische Wohlfahrtsverband in seinem jährlichen »Armutsbericht« hin, der in Berlin veröffentlicht wurde.
Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider forderte von der Bundesregierung ein zielgerichtetes Entlastungspaket für einkommensarme Haushalte.
Der Verband analysiert in seinem Bericht die bereits im Mai bekannt gegebenen Daten des Statistischen Bundesamtes zur sogenannten Armutsgefährdungsquote, oft auch einfach Armutsquote genannt. Diese war im vergangenen Jahr auf 16,6 Prozent gestiegen. Demnach leben 13,8 Millionen Menschen in Deutschland unterhalb der entsprechenden Grenze - und damit 600.000 mehr als vor der Pandemie, auch wenn die Wirtschaft sich im vergangenen Jahr bereits wieder erholte.
Verband: Inflation verschärft die Situation
Angesichts der aktuell hohen Inflationsrate rechnet der Verband mit einer weiteren Verschärfung der Lage. »Die Befunde sind erschütternd, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie schlagen inzwischen voll durch«, sagte Schneider. Noch nie habe sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie in der Pandemie.
Armut wird in wohlhabenden Ländern wie Deutschland nicht über direkte Not wie Hunger oder Obdachlosigkeit definiert. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, ob das Haushaltseinkommen für gesellschaftliche Teilhabe reicht. Die Armutsgefährdungsquote gibt dabei den Anteil der Bevölkerung an, der mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss.
Armutsgefährdung besonders hoch in Bremen und Berlin - und im Ruhrgebiet
Der Paritätische Wohlfahrtsverband zeigte auch die sehr unterschiedliche Verteilung der Armutsgefährdung in Deutschlands Regionen auf. Demnach lag die Quote zwischen 12,6 und 28 Prozent. Die Bundesländer mit den niedrigsten Quoten waren Bayern (12,6 Prozent), Baden-Württemberg (13,9 Prozent) und Brandenburg (14,5 Prozent). Die höchsten Quoten hatten Sachsen-Anhalt (19,5 Prozent), Berlin (19,6 Prozent) und Schlusslicht Bremen (28 Prozent).
Als »armutspolitische Problemregion Nummer 1« bezeichnete Schneider, wie bereits in den Jahren zuvor, das Ruhrgebiet (21,1 Prozent). Mit 5,8 Millionen Einwohnern ist die Region der größte Ballungsraum Deutschlands.
Kritik an Entlastungspaketen der Bundesregierung
Die jüngsten Entlastungspakete der Bundesregierung bezeichnete der Verband als ungerecht und unzureichend. »Pandemie und Inflation treffen eben nicht alle gleich«, sagte Schneider. Von dem 29 Milliarden Euro schweren Entlastungspaket seien nur 2 Milliarden Euro als gezielte Hilfen an einkommensarmen Menschen gegangen.
Der Verband forderte deshalb ein neues Maßnahmenpaket, das zielgerichtet, wirksam und nachhaltig sein müsse. »Grundsicherung, Wohngeld und Bafög sind nach unserer Auffassung die wirksamsten Hebel, um schnell zu einer Entlastung unterer Einkommen zu gelangen«, so Schneider.
Derzeit wird in der Bundesregierung heftig über weitere Entlastungsschritte debattiert. So plant Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als Ausgleich für stark steigende Preise die Möglichkeit einer steuerfreien Einmalzahlung durch die Arbeitgeber. Im Gegenzug sollen die Gewerkschaften bei Tarifrunden auf einen Teil der Lohnsteigerungen verzichten, um so die Inflation nicht weiter anzuheizen. Dieser und andere Vorschläge sollen ab Montag kommender Woche bei einem Dialog der Regierung mit den Sozialpartnern und der Bundesbank auf den Tisch kommen.
Linke-Chefin: »Planlos und zu wenig«
Linke-Chefin Janine Wissler kritisierte die Hilfen der Regierung als »planlos, zu wenig und zu wenig effektiv«. Statt der Lohnabhängigen müssten endlich die Reichen und vor allem die »Krisengewinnler« stärker besteuert werden.
Der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch zeigte sich ebenfalls besorgt: »Der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zeigt, dass trotz sinnvoller Maßnahmen wie Kurzarbeit auch die Corona-Krise nicht spurlos an unserer Gesellschaft vorbeigegangen ist, sondern Ungleichheit verstärkt hat.« Die Regierung müsse daher insbesondere ärmere Menschen unterstützen. Hierzu brauche es unter anderem weitere Entlastungen für Menschen mit kleinen Einkommen.
FDP-Sozialexperte Pascal Kober bemängelte, dass dem Armutsbericht ein politischer Ansatz zur Bekämpfung der Ursachen von Armut fehle. Hier müsse seiner Meinung nach der sozialpolitische Schwerpunkt liegen. Gerade in dieser finanziell angespannten Situation sei es wichtig, den Menschen mehr von ihrem ehrlich verdienten Geld zu lassen.
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