Der Entwurf der Bundesregierung für das Infektionsschutzgesetz ist auf geteiltes Echo gestoßen. Vertreter von Arbeitgebern und Verbänden haben ein einheitliches Vorgehen der Länder bei den Corona-Schutzmaßnahmen im Herbst und Winter angemahnt. »Soweit die Länder die Möglichkeit erhalten sollen, weitergehende Maßnahmen zu ergreifen, muss sichergestellt werden, dass hierfür einheitliche und klare Kriterien geschaffen werden«, sagte etwa der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur.
Die Bundesländer müssten sich untereinander auf Maßnahmen einigen. »Jede übermäßige Belastung von Arbeitgebern, Beschäftigten und Kunden muss ausgeschlossen bleiben«, sagte der BDA-Chef. Vollständige Lockdowns und Schulschließungen dürfe es in diesem Jahr auf keinen Fall mehr geben. Auch der Deutsche Lehrerverband und der Verband für Bildung und Erziehung (VBE) warnten vor einem bundesweiten Maßnahmen-Chaos, wenn sich die Bundesländer nicht untereinander abstimmen.
Dass das Konzept keine pauschalen Schließungen von Schulen vorsieht, wurde etwa von Ärztevertretern begrüßt. Von Lehrervertretern kam Zuspruch dafür, dass die Bundesländer ab Oktober an weiterführenden Schulen eine Maskenpflicht verordnen können sollen - für den Fall, dass es zu einer heftigen Infektionswelle kommt. In Richtung Regierung wurde aber auch der Vorwurf laut, dass manche der geplanten Regelungen nicht alltagstauglich seien - und Deutschland sich aufgrund der Möglichkeit für die Bundesländer, schärfere Maßnahmen zu ergreifen, wieder in einen »Flickenteppich« zu verwandeln drohe.
Bundesweite Maskenpflicht in Bus, Bahn und Flugzeug
Das Corona-Schutzkonzept von den Bundesministerien für Gesundheit und Justiz sieht unter anderem eine bundesweite Maskenpflicht in Bus, Bahn und Flugzeugen vor. Zudem soll ab Oktober eine Masken- und Testpflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gelten. Die Bundesländer sollen von da an auch Maskenpflichten in öffentlich zugänglichen Innenräumen verhängen und Tests in Schulen, Kitas und Einrichtungen zur Unterbringung von Asylbewerbern vorschreiben dürfen.
Eine Maskenpflicht in der Schule ist nur vorgesehen, wenn sonst kein geregelter Präsenzunterricht möglich wäre - und auch dann nur ab dem fünften Schuljahr. Letzteres stößt beim Lehrerverband auf Unverständnis.
Zwar sei die Möglichkeit der Maskenpflicht im Fall hoher Infektionszahlen an weiterführenden Schulen zu begrüßen, sagte Präsident des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). »Warum im gleichen Fall, also zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs, eine Maskenpflicht an Grundschulen nicht angeordnet werden kann, ist allerdings absolut nicht nachvollziehbar.« Bei Grundschulen werde offensichtlich eher eine Schulschließung oder Unterrichtsausfall in Kauf genommen.
Die Bundesärztekammer hielt der Bundesregierung zugute, dass sie pandemiebedingten Schulschließungen eine Absage erteilte.
Holetschek sieht viel Klärungsbedarf
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek sieht noch viele offene Fragen beim geplanten neuen Infektionsschutzgesetz. Es sei wie »so oft« bei einem Bundesgesetz, »es kommt ein Gesetz und es wird nicht zu Ende gedacht«, kritisierte der CSU-Politiker am Donnerstag im ARD-»Morgenmagazin«. »Welche Parameter gelten wann? Wie funktionieren Kontrollen, zum Beispiel, wenn die FFP2-Maske nicht gilt?«
Reinhardt: Konzept teilweise »leider noch im Vagen«
Ärztepräsident Klaus Reinhardt bemängelte gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe zugleich, dass sich das Corona-Schutzkonzept an einigen Stellen »leider noch im Vagen« halte. Unklar sei etwa, was passieren solle, wenn eine Überlastung der medizinischen Infrastruktur drohe. »Wichtig ist, dass in Zukunft im ganzen Bundesgebiet einheitliche Maßnahmen ergriffen werden, wenn bestimmte, klar definierte Kriterien erfüllt sind«, sagte Reinhardt.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft vermisst Grenzwerte, anhand derer sich die Überlastung des Gesundheitswesens beurteilen lassen würde. »Es wird nicht direkt erkennbar, wie die Datenlage gravierend verbessert wird«, sagte der Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Deutscher Städtetag: Offene Fragen
Der Deutsche Städtetag sieht noch mehrere offene Fragen. "Wird im Herbst wieder der kostenlose Bürgertest für alle eingeführt? Wie geht es mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht weiter?" Dazu erwarten wir sehr bald Antworten der Bundesregierung", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy den Funke-Zeitungen.
Es gab auch den Vorwurf in Richtung Regierung, dass einige vorgeschlagene Maßnahmen nicht alltagstauglich seien. So soll es in Restaurants sowie bei Kultur- und Sportveranstaltungen Ausnahmen der Maskenpflicht für getestete, frisch geimpfte und frisch genesene Menschen geben. »Frisch« bedeutet, dass die Impfung oder die überstandene Covid-Erkrankung nicht länger als drei Monate her sein darf.
»Wenn bei der Maskenpflicht beispielsweise danach differenziert werden soll, ob die letzte Impfung drei oder vier Monate zurückliegt, dann frage ich mich, wie das im Alltag funktionieren soll«, sagte der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigelt, der »Rheinischen Post«. »Dass solche Regelungen nicht zur Akzeptanz in der Bevölkerung beitragen werden, ist offensichtlich. Im Zweifel muss man auch nicht alles gesetzlich haarklein regeln.«
Streeck: Gefahr eines Flickenteppichs
Der Virologe Hendrik Streeck warnte, dass Deutschland sich angesichts unterschiedlicher Maßnahmen je nach Bundesland in einen Flickenteppich verwandeln könnte. Um das zu vermeiden, brauche es klare Vorgaben für die Länder, wann diese Maßnahmen wie die Maskenpflicht an Schulen ergreifen sollten, sagte Streeck am Mittwoch dem Fernsehsender Welt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte bei »RTL Direkt«: »Dass da Flickenteppich kommt, hoffe ich nicht, wir arbeiten mit den Ländern zusammen, dass sie das Maximum nutzen, das wir anbieten.«
Die Maßnahmen sollen vom 1. Oktober 2022 bis 7. April 2023 gelten. Mit den Vorschlägen wird sich als nächstes das Kabinett befassen, dann ist der Bundestag am Zug.
Bayern: Bund verzichtet auf neue Bewertung zu Corona-Isolation
In der Debatte um ein mögliches Ende der Isolationspflicht für Corona-Infizierte will die Bundesregierung nach Angaben Bayerns keine Neubewertung der Lage durch das Robert-Koch-Institut (RKI). Das Bundesgesundheitsministerium habe einen Antrag der Unionsländer abgelehnt, dass das RKI eine fundierte Stellungnahme zur Isolationspflicht geben möge, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) der Deutschen Presse-Agentur in München. »Das Argument, es gebe keine neuen Erkenntnisse, halte ich für dünn.« Zuvor hatten die unionsregierten Länder in der Gesundheitsministerkonferenz eine entsprechende RKI-Bewertung eingefordert.
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