Nach fünf weiteren ergebnislosen Wahlgängen hat das US-Repräsentantenhaus die Abstimmung über den Vorsitz der Parlamentskammer erneut vertagt.
Einen entsprechenden Antrag nahm die Kammer am Donnerstagabend (Ortszeit) mit knapper Mehrheit an. Die Demokraten stemmten sich gegen die erneute Unterbrechung des Wahlprozederes. Die nächste Sitzung soll nun am Freitag (12.00 Uhr Ortszeit/18.00 Uhr MEZ) beginnen. Dann werden weitere Wahlgänge erwartet.
Das Wahldrama im US-Kongress zieht sich bereits seit Dienstag hin. Hintergrund ist ein parteiinterner Machtkampf bei den Republikanern. Deren Kandidat für den Vorsitz des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, ist in den vergangenen Tagen bereits in elf Wahlgängen durchgefallen, weil ihm diverse Parteikollegen die Unterstützung verweigerten und er dadurch nicht die nötige Zahl an Stimmen erreichte.
Die Republikaner haben in der Kammer nur eine ganz knappe Mehrheit. Daher bräuchte McCarthy fast alle Stimmen seiner Parteikollegen, um auf den mächtigen Posten gewählt zu werden. Doch mehrere Republikaner vom rechten Rand der Fraktion haben eine Rebellion gegen den 57-Jährigen angezettelt und den Kongress so ins Chaos gestürzt. Denn bis der Vorsitz geklärt ist, geht im Repräsentantenhaus gar nichts: Nicht mal die neuen Abgeordneten, die bei der Kongresswahl im vergangenen November ins Parlament gewählt wurden, können vereidigt werden.
Neuer Rekord
Seit dem 19. Jahrhundert haben die Abgeordneten im Repräsentantenhaus nicht mehr so viele Anläufe gebraucht, um einen neuen Vorsitzenden zu wählen. So viele Wahlgänge gab es seit 1859/1860 nicht mehr. Der Republikaner William Pennington wurde damals erst im 44. Wahlgang zum Vorsitzenden gewählt. Das Prozedere dauerte mehrere Wochen.
Der aktuelle Machtkampf hatte bereits zuvor eine historische Dimension. Es ist das erste Mal seit hundert Jahren, dass es überhaupt mehrere Anläufe braucht, um den Chefposten zu besetzen. 1923 waren neun Wahlgänge nötig, um einen Vorsitzenden zu bestimmen. Auch damals dauerte das Ganze mehrere Tage. Am längsten dauerte es 1855/56 - damals brauchte die Parlamentskammer zwei Monate für die Wahl und 133 Wahlgänge.
McCarthy konnte am Donnerstag trotz weiterer Zugeständnisse seine Gegnerinnen und Gegner in der Partei nicht hinter sich vereinen. Er schaffte es nicht, weitere Republikaner auf seine Seite zu ziehen - 20 Abgeordnete stimmten für andere Kandidaten, eine Parlamentarierin enthielt sich. Da die Republikaner nur eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, ist McCarthy auf fast jede Stimme in seiner Partei angewiesen, um Vorsitzender zu werden.
Neuer Grad der Verzweiflung
Er zeige nun ein neues Niveau an »Verzweiflung«, urteilte der Sender CNN. McCarthy war am Dienstag und Mittwoch in sechs Wahlgängen durchgefallen und wurde blamiert. Die Demütigung setzte sich nun am Donnerstag fort. Einer seiner Widersacher stimmte sogar für Ex-Präsident Trump während der mündlichen Abstimmung. Bei der Abstimmung können die Abgeordneten auch für Personen stimmen, die gar nicht Mitglieder des US-Kongresses sind. Trump werden keine realistischen Chancen eingeräumt, zum Vorsitzenden der Parlamentskammer gewählt zu werden.
Freude bei den Demokraten
Dass die Demokraten aktuell aber große Freude daran zu haben scheinen, McCarthy scheitern zu sehen, zeigte sich am Mittwochabend (Ortszeit). Die Abgeordneten waren nach einer Pause zu einer erneuten Sitzung zusammengekommen. McCarthy hatte zuvor gesagt, dass eine weitere Abstimmung am Abend keinen Erfolg bringen würde - einer seiner Vertrauten beantragte folglich eine Vertagung der Sitzung. Allerdings stemmten sich die Demokraten gegen das Vorhaben. Erst im letzten Moment wurde der Antrag mit einer hauchdünnen Mehrheit der Republikaner angenommen.
Auch ein Appell von Ex-Präsident Trump hatte nichts an der verfahrenen Situation geändert. Dieser hatte McCarthy bereits zuvor unterstützt - und ihm aber nach dem Abstimmungsdebakel noch einmal Rückendeckung gegeben. Doch die glühenden Trump-Fans blockierten McCarthy weiter. Für McCarthy sind die Niederlagen in Serie eine historische Schlappe und eine öffentliche Bloßstellung.
Der Machtkampf zeigt auch die Zerrissenheit der Republikaner. Sie hatten bei den Zwischenwahlen im November die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobert und wollten eigentlich Präsident Joe Biden vor sich hertreiben. Nun fragen sich viele, ob die dysfunktionale Partei überhaupt in der Lage ist, die wichtigen Aufgaben in der Parlamentskammer zu bewältigen.
McCarthy macht große Zugeständnisse
Berichten zufolge war McCarthy seinen Parteigegnern vor der Abstimmung einen großen Schritt entgegenkommen, um sich deren Stimmen zu sichern und die Blockade zu durchbrechen. Der 57-Jährige soll sogar eingewilligt haben, die Hürden für die Abberufung eines Vorsitzenden im Repräsentantenhaus noch weiter zu senken. Damit bietet er seinen Gegnern ein Druckmittel, ihn nach Belieben wieder aus dem Amt zu jagen. Dies könnte schwerwiegende Folgen haben und zu noch mehr Instabilität führen, wenn im Kongress wichtige Entscheidungen anstehen. Die Rechtsaußen-Abgeordneten könnten die Kammer in Geiselhaft nehmen. McCarthy war den Abtrünnigen in diesem Punkt bereits zuvor weit entgegengekommen - allerdings ohne Erfolg.
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