Im neuen Jahr soll das Bürgergeld das bisherige Hartz IV ablösen. Doch der Zeitplan könnte ins Wackeln geraten. Die Union hat zum Wochenbeginn mit weiterer Kritik nachgelegt und Änderungen gefordert. Die bisherigen Bürgergeldpläne der Ampel-Koalition gingen in die »grundfalsche Richtung« und würden »absolut sozial ungerechte Auswirkungen« haben, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag im ZDF. »Deswegen braucht es auch mehr als nur ein bisschen Kosmetik, es braucht schon eine grundlegende Überarbeitung.« Ampel-Politiker warnten die Union vor einer Blockade des Vorhabens und warfen ihr Populismus vor. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich mit Blick auf das Gesetzgebungsverfahren dennoch zuversichtlich.
Das Bürgergeld zählt zu den wichtigsten sozialpolitischen Projekten der Koalition aus SPD, Grünen und FDP - »eine der größten Sozialreformen seit 20 Jahren«, hatte Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) gesagt. Empfänger sollen unter anderem mehr Geld bekommen, als dies bei der Grundsicherung Hartz IV momentan der Fall ist. Die Regelsätze sollen um rund 50 Euro steigen. Darüber hinaus soll der Umgang mit Leistungsbeziehern mit Blick auf Wohnungsgröße, anzurechnendem Vermögen und Mitwirkungspflichten weniger streng sein. Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen soll zudem stärker gefördert werden, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Das Problem für die Ampel: Im Bundesrat ist sie für ihr Bürgergeld-Gesetz auf Zustimmung aus den unionsregierten Bundesländern angewiesen. CDU-Generalsekretär Mario Czaja hatte mit einer Blockade gedroht. Das sind die Knackpunkte:
Schonvermögen, Wohnungsgröße, »Vertrauenszeit«
Für höhere Regelsätze zum Jahreswechsel sind auch CDU und CSU angesichts der Inflation. Ihre Kritik richtet sich aber gegen einzelne Regeln im Bürgergeld, die in der Summe ihrer Ansicht nach »falsche Anreize« setzen. So sollen in den ersten beiden Jahren des Bürgergeld-Bezugs die tatsächlichen Kosten der Wohnung anerkannt werden, auch wenn diese größer und teurer ist und über dem als »angemessen« eingestuften Niveau liegt. Der Druck, sich schnell eine kleinere Wohnung zu suchen, fällt damit weg. Vermögen bis 60 000 Euro und für jede weitere Person im Haushalt bis 30 000 Euro sollen nicht angerechnet werden. Möglichkeiten zur Kürzung von Leistungen sollen mit dem Gesetz in den ersten sechs Monaten (»Vertrauenszeit«) eingeschränkt werden, wenn beispielsweise eine zumutbare Arbeit nicht angenommen wird.
Unionspolitiker sprechen von »falschen Signalen« und »tiefgreifenden Webfehlern« und warnen davor, dass durch die Bürgergeld-Regeln der Anreiz sinkt, eine Arbeit aufzunehmen, anstatt staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. CDU-Chef Friedrich Merz hatte Anfang Oktober bei »t-online« auch gesagt: »Mit der zukünftig «Bürgergeld» genannten Sozialleistung lohnt es sich auch für Zuwanderer häufig nicht mehr, eine einfache Tätigkeit aufzunehmen. Und genau das zieht die Menschen aus vielen Ländern erst richtig an, es schafft einen sogenannten Pull-Faktor.«
»Kopf frei« für Jobsuche und Weiterbildung
Ampel-Politiker weisen die Kritik zurück. Betroffene sollten »den Kopf frei haben sich zu qualifizieren und weiterzubilden, neue Arbeit zu suchen und sollen sich nicht rumschlagen müssen« mit dem Aufbrauchen von Vermögenswerten oder dem Auszug aus der bisher bewohnten Wohnung, verteidigte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Montag im Deutschlandfunk die Pläne. Die Kritik der Union nannte er im »Tagesspiegel« »ein durchsichtiges und populistisches Manöver«.
Der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Andreas Audretsch sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Markus Söder und Friedrich Merz setzen beim Bürgergeld auf blanken Populismus und schamlose Falschaussagen.« Kühnert und Audretsch verwiesen darauf, dass das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger bereits im Zuge der Corona-Pandemie von der großen Koalition, also von der Union selbst, auf 60.000 Euro erhöht wurde. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte ebenfalls dem »Tagesspiegel«, es sei nicht die Zeit »für parteitaktische Manöver«. Verzögerung und Blockade hätten nichts mit Verantwortung zu tun.
Zeitplan könnte wackeln
Wie geht es nun weiter? Im Bundestag steht die Verabschiedung des Bürgergeld-Gesetzes momentan für nächste Woche Donnerstag auf der Tagesordnung. Danach muss noch der Bundesrat entscheiden. Wenn das Gesetz dort keine Mehrheit bekommt, käme der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zum Zug. Ein dort ausgehandelter Kompromiss müsste dann aber erneut von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden, so dass es mit Einführung des Bürgergelds zum Jahresbeginn knapp werden könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Montag in Berlin, er sei sehr zuversichtlich, dass das Gesetzgebungsvorhaben vor dem Jahreswechsel zum Abschluss gebracht werde. »Die Zuversicht ist groß«, sagte er.
Mehr Geld als Kompromiss?
In Vermittlungsverfahren setzen die Bundesländer oft durch, dass sie vom Bund für die Umsetzung des betreffenden Gesetzes mehr Geld bekommen. Das könnte auch hier Teil eines Kompromisses sein. Der Bundesrat hatte am Freitag in einer Stellungnahme zum Bürgergeldgesetz die Ampelregierung bereits dazu aufgefordert, die Kosten zu überprüfen und Mehrkosten für Kommunen und Länder auszugleichen.
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