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Unachtsamkeit eines Generals führte zu Taurus-Leck

Die Bundeswehr-Abhöraffäre ist im Kern aufgeklärt. Das Taurus-Leck wird auf einen individuellen Fehler zurückgeführt. Personelle Konsequenzen gibt es nicht - weil Putin keine Trophäe davontragen soll.

Boris Pistorius
Verteidigungsminister Boris Pistorius äußert sich in Berlin zum aktuellen Stand der Taurus-Leck-Untersuchung. Foto: Michael Kappeler/DPA
Verteidigungsminister Boris Pistorius äußert sich in Berlin zum aktuellen Stand der Taurus-Leck-Untersuchung.
Foto: Michael Kappeler/DPA

Das Verteidigungsministerium macht die Unachtsamkeit eines Bundeswehr-Generals in Singapur dafür verantwortlich, dass ein vertrauliches Gespräch über den Marschflugkörper Taurus von Russland abgehört wurde. Minister Boris Pistorius (SPD) sprach bei der Vorstellung der ersten Ermittlungsergebnisse von einem »individuellen Anwendungsfehler«, der zu einem »Zufallstreffer« bei einer breit angelegten Abhöraktion der Russen während der Singapore Airshow geführt habe.

Personelle Konsequenzen will Pistorius vorerst nicht ziehen. Wenn nicht noch etwas Schlimmeres herauskomme, »werde ich niemanden meiner besten Offiziere Putins Spielen opfern«, betonte er. 

Am Freitag hatte Russland eine mitgeschnittene Schaltkonferenz von vier hohen Offizieren, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, veröffentlicht. Darin erörterten diese Einsatzszenarien für die Taurus-Raketen für den Fall, dass sie doch noch an die Ukraine geliefert werden sollten. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat das zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen und sein Nein damit begründet, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte. Taurus hat eine Reichweite von 500 Kilometern und kann damit von der Ukraine aus auch Ziele in Moskau treffen.

Kein Fehler im Bundeswehr-Kommunikationssystem

Pistorius gab am Dienstag kurz vor einer Skandinavien-Reise das Zwischenergebnis der Untersuchungen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) bekannt. Danach ist die Ursache des Taurus-Lecks kein Fehler im Kommunikationssystem der Bundeswehr, sondern der individuellen Unachtsamkeit eines Generals geschuldet, der sich von einem Hotel in Singapur in das Gespräch eingewählt hatte.  

»Unsere Kommunikationssysteme wurden nicht kompromittiert«, betonte Pistorius, der den Namen des Konferenzteilnehmers in Singapur nicht nannte. Aus dem Mitschnitt geht hervor, dass es sich um Brigadegeneral Frank Gräfe handelt. 

Nach Angaben des SPD-Politikers fand das Gespräch der vier Offiziere vorschriftsgemäß über die Internetplattform Webex statt, die von der Bundeswehr in unterschiedlich geschützten Versionen für solche Gespräche genutzt werde. Dass diese Unterredung trotzdem abgehört werden konnte, liege daran, dass sich der Teilnehmer in Singapur nicht an das sichere Einwahlverfahren gehalten habe, sagte Pistorius. Er habe sich von Singapur aus über eine »nicht sichere Datenleitung« an dem Gespräch beteiligt, also über Mobilfunk oder WLAN.

Flugshow in Singapur »gefundenes Fressen« für die Russen

In dem südostasiatischen Stadtstaat fand zur Zeit des Gesprächs die Singapore Airshow statt, an der viele hochrangige europäische Militärs teilnahmen. »Für russische Geheimdienste nachvollziehbar ein gefundenes Fressen so eine Veranstaltung in diesem Umfeld«, sagte Pistorius. In den genutzten Hotels hätten flächendeckend Abhöraktionen stattgefunden.  Der Zugriff auf die Webex-Konferenz der Bundeswehr-Offiziere sei dann ein russischer »Zufallstreffer, im Rahmen einer breit angelegten, gestreuten Vorgehensweise« gewesen. 

Die von einigen Medien verbreitete Theorie, dass ein russischer Spion an dem Gespräch teilgenommen haben könnte, ohne bemerkt worden zu sein, wies Pistorius schroff zurück. »Ich war einigermaßen erstaunt, dass eine solche Hypothese öffentlich verbreitet wird, ohne dass es dafür ernstzunehmende Hinweise zu diesem Zeitpunkt überhaupt hat geben können.«

Personelle Konsequenzen: Keine Trophäe für Putin

Der Verteidigungsminister sagte zwar, dass nun disziplinarische Vorermittlungen gegen alle vier Teilnehmer des Gesprächs eingeleitet worden seien. Er betonte aber auch, dass personelle Konsequenzen »derzeit nicht auf der Agenda« stünden. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Bundesregierung dem russischen Präsidenten Wladimir Putin »nicht auf den Leim gehen« will, wie es jetzt immer wieder gesagt wird. Die Trophäe eines gefeuerten Generals als Ergebnis ihres Lauschangriffs sollen die Russen nicht davontragen.

Technische Konsequenzen: Nur Nachbesserungen

Auch an den Kommunikationssystemen sieht Pistorius keinen grundsätzlichen Änderungsbedarf. »Unsere zertifizierten Kommunikationsmittel sind bei korrekter Anwendung aller Vorgaben grundsätzlich sicher, daran besteht kein Zweifel«, sagte er. Allerdings soll gegebenenfalls an der einen oder anderen Stelle nachjustiert werden.  »Wir müssen unsere Systeme weiter härten«, sagte er. Pistorius machte aber auch klar, dass es eine hundertprozentige Sicherheit der Systeme nicht geben könne. Kenntnis von einem weiteren Abhörfall habe er zwar nicht. »Das schließt aber nicht aus, dass es einen weiteren gibt.«  

Deutschlands Vertrauenswürdigkeit: Laut Pistorius »ungebrochen«

Aber welcher Flurschaden ist nun durch die Affäre entstanden? Was bedeutet sie für die Vertrauenswürdigkeit Deutschlands im westlichen Bündnis? In den vergangenen Tagen waren daran Zweifel laut geworden. »Wir wissen, dass Deutschland stark von russischen Geheimdiensten durchdrungen ist. Das zeigt, dass es weder sicher noch zuverlässig ist«, sagte etwa der britische Politiker Ben Wallace, der sich zwischen 2019 und 2023 als Verteidigungsminister vier Jahre lang ein Bild von der deutschen Vertrauenswürdigkeit machen konnte.

Pistorius gab sich große Mühe, dem Eindruck entgegenzutreten. Er habe am Montag mit den Amtskollegen der Verbündeten telefoniert und »keinerlei Anzeichen dafür wahrgenommen, dass man uns in irgendeiner Weise misstraut, und ich habe auch keine Verärgerung entgegengenommen«, betonte der Minister. »Das Vertrauen in Deutschland ist ungebrochen.« Alle wüssten, dass es keine absolute Sicherheit vor solchen Abhörattacken gebe. »Wir werden uns durch diesen hybriden Angriff aus Russland nicht aufscheuchen und nicht auseinandertreiben lassen.«

Union nicht überzeugt von Einigkeitsappell

Ob dieser Appell des Zusammenhalts gegen die russischen Angreifer auch bei der Opposition im Inland zündet, ist fraglich. Den verteidigungspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Florian Hahn (CSU), überzeugten die Ausführungen des Ministers jedenfalls nicht. »Es ist schon bemerkenswert, wie die Ampel diesen Abhörskandal nun umdichtet«, sagte er der »Rheinischen Post«. Es werde jetzt »eine politische Einigkeit bei der Abwehr der russischen Aggressionen beschworen, die durch das kategorische Nein des Kanzlers gegen die Taurus-Lieferung nicht gegeben ist«. Neben der Union sind auch FDP und Grüne für die Lieferung des Waffensystems in die Ukraine.

Scholz hatte aber am Montag seine Absage an eine Lieferung mit einem Machtwort bekräftigt. »Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.« 

© dpa-infocom, dpa:240305-99-224190/10