Das UN-Flüchtlingshilfswerk stuft die humanitäre Lage in der Ukraine fast zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges als sehr ernst ein und warnt vor einem Nachlassen der Hilfe.
»Die Luftangriffe treffen jeden Tag die Frontlinie und die Städte. Und mit jedem Schlag bringen sie Zerstörung, die Zivilisten trifft. Viele Menschen verlieren ihr Obdach oder werden vertrieben«, sagte UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi der Deutschen Presse-Agentur in Kiew. Der Leiter des UNHCR hatte eine Woche lang Hilfsprojekte in Odessa, Krywyj Rih, Dnipro, Charkiw und Kiew besucht.
Die ukrainische Gesellschaft habe sich seit dem russischen Angriff sehr stark und geeint gezeigt, doch nach zwei Jahren sei die Belastung spürbar. »Diese Brüche werden sichtbar, und das Risiko ist natürlich, dass sie größer werden, wenn die internationale Unterstützung in all ihren Formen kleiner wird«, sagte Grandi.
2022 und 2023 sei die Arbeit des UNHCR und anderer Hilfswerke gut finanziert worden, sagte der italienische UN-Diplomat. Doch in diesem Jahr drohten Kürzungen. Der Krieg in der Ukraine habe international an Aufmerksamkeit verloren, der Krieg im Gaza-Streifen bestimme die Schlagzeilen. Und bei drei Hauptgeldgebern - Deutschland, den USA und der EU - stehe die Höhe der Hilfe für die Ukraine noch nicht fest.
In diesem Jahr drohen Kürzungen
»Die Priorität sind Häuser, Reparaturen - alles, was Menschen ein Obdach gibt«, sagte Grandi über die Arbeit des UNHCR in der Ukraine. »Neue Fenster einsetzen, weil Fenster dauernd zerstört werden. Es ist sehr frustrierend, das die ganze Zeit tun zu müssen, weil es immer wieder neue Zerstörungen gibt.« Seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 haben das UNHCR gemeinsam mit anderen Hilfswerken und ukrainischen Stellen nach eigenen Angaben 27.500 Häuser repariert.
Reparatur und Wiederaufbau seien auch wichtig, um Flüchtlingen aus Deutschland und anderen Ländern die Rückkehr zu ermöglichen, sagte Grandi. Man erarbeite mit der Ukraine eine Datenbank, in der sich Flüchtlinge informieren könnten, »wo sie Material bekommen, wo es Zuschüsse gibt«.
Nach Angaben Grandis gehen die Vereinten Nationen von 3,7 Millionen Binnenflüchtlingen in der Ukraine und weiteren 6,3 Millionen Flüchtlingen in anderen Ländern aus. »Zehn Millionen Menschen leben nicht in ihrem Zuhause«, sagte der Hochkommissar. Zu ihnen zählten auch 1,3 Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen in Russland. Dies sei die von der Regierung in Moskau gemeldete Zahl. Der Zugang des UNHCR zu ihnen sei »sehr beschränkt, aber nicht null«. Durch Besuche und Telefonate habe man Kontakt zu 70.000 bis 80.000 Menschen gehabt.
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