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Ukraine-Krieg: So ist die Lage

Ausnahmsweise sind sich alle Seiten einig: Der Beginn des Getreide-Exports aus ukrainischen Häfen ist eine gute Sache. Die Kämpfe aber dauern unvermindert an. Die aktuellen Entwicklungen.

Ukraine-Krieg - Kiew
Vier ukrainische Soldaten auf Patrouille in Kiew. Foto: Daniel Ceng Shou-Yi
Vier ukrainische Soldaten auf Patrouille in Kiew.
Foto: Daniel Ceng Shou-Yi

Der Start der Getreidelieferung aus der Ukraine hat die Hoffnung auf eine Linderung der sich anbahnenden Ernährungskrise geweckt. »Heute macht die Ukraine gemeinsam mit Partnern einen weiteren Schritt zur Verhinderung des Hungers in der Welt«, teilte der ukrainische Infrastrukturminister Olexander Kubrakow bei Facebook mit. Auch die EU, die Nato und Russland begrüßten den Schritt.

Unterdessen hat Moskau seine Angriffe auf zahlreiche ukrainische Stellungen fortgesetzt, dabei aber wohl nur Teil-Erfolge erzielt. Angesichts der immer spärlicheren Versorgung der EU mit russischem Gas warnt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch einmal ganz deutlich vor einer Mega-Krise.

Selenskyj: Getreideabkommen ist von enormer Bedeutung

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich nach der Wiederaufnahme der Getreideexporte vorsichtig optimistisch, die globale Versorgungskrise lösen und die eigene Wirtschaft ankurbeln zu können. »Der Hafen hat begonnen zu arbeiten und dies ist ein positives Signal dafür, dass es eine Chance gibt, die Entwicklung der Nahrungsmittelkrise in der Welt zu stoppen«, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft. Seinen Angaben nach warten 16 weitere Schiffe in den ukrainischen Häfen darauf, für den Export abgefertigt zu werden.

Durch die Wiederinbetriebnahme von drei Häfen könne die Wirtschaft der Ukraine laut Infrastrukturminister Olexander Kubrakow mindestens eine Milliarde US-Dollar (rund 980 Millionen Euro) einnehmen und Planungen im Agrarsektor ermöglichen.

Selenskyj machte deutlich, dass die Umsetzung des Getreideabkommens, das das Ende der russischen Seeblockade vorsieht, auch für die Ukraine von enormer Bedeutung ist. Es gehe nicht nur um Milliarden an Deviseneinnahmen. »Ungefähr eine halbe Million Ukrainer sind am Anbau der landwirtschaftlichen Exporterzeugnisse beteiligt, und wenn wir verwandte Industrien hinzufügen, dann sind das noch eine Million Arbeitsplätze zusätzlich«, sagte er.

Zugleich warnte Selenskyj vor verfrühten Hoffnungen. Russland werde nicht einfach damit aufhören, die ukrainischen Exporte zu sabotieren. Viel hänge davon ab, ob es den Vereinten Nationen und der Türkei gelinge, dass Abkommen umzusetzen.

Moskau: Getreide-Lieferungen sind »positives Zeichen«

Auch Russland hat das Auslaufen des ersten Frachtschiffes mit ukrainischem Getreide aus dem Schwarzmeer-Hafen Odessa begrüßt. »Das ist ziemlich positiv«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. »Das ist eine gute Möglichkeit, die Effektivität der Arbeit von Mechanismen zu testen, die bei den Verhandlungen in Istanbul vereinbart wurde.«

In Istanbul war am 22. Juli das unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei ausgehandelte Abkommen über den Getreideexport unterzeichnet worden. Am Morgen war das Frachtschiff »Razoni« mit 26 000 Tonnen Mais an Bord in Richtung Libanon aufgebrochen. Seine Fracht soll voraussichtlich am Mittwochmorgen bei einem Zwischenstopp in Istanbul überprüft werden.

EU zahlt Ukraine neuen Milliardenkredit aus

Die Europäische Union hat mit der Auszahlung eines weiteren Milliardenkredits an die Ukraine begonnen. Eine erste Überweisung in Höhe von 500 Millionen Euro sei am Montag erfolgt, teilte die zuständige EU-Kommission mit. Eine zweite über noch einmal 500 Millionen Euro werde an diesem Dienstag erfolgen.

Die Ukraine braucht das Geld nach EU-Angaben zum Beispiel dafür, um laufende Kosten etwa für Rentenzahlungen und den Betrieb von Krankenhäusern zu decken. Um das von Russland angegriffene Land zu entlasten, sollen die Zinskosten für das Darlehen aus dem EU-Haushalt bedient werden.

Mehrfachraketenwerfer Mars II eingetroffen

Die von Deutschland gelieferten Mehrfachraketenwerfer Mars II sind nach Angaben aus Kiew in der Ukraine angekommen. Das teilte der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow auf Twitter mit. Er bedanke sich »bei Deutschland und persönlich bei meiner Kollegin, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, für die Systeme«, schrieb der 56-jährige Politiker.

Lambrecht hatte bereits in der vergangenen Woche die Lieferung der drei Raketenwerfer angekündigt. Daneben hat Deutschland an schweren Waffen bereits Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard und Artilleriesysteme des Typs Panzerhaubitze 2000 an die Ukraine übergeben.

Moskau: Armee zerstört westliche Militärtechnik

Russlands Armee hat in der Ukraine eigenen Angaben zufolge erneut westliche Militärtechnik zerstört. In der ostukrainischen Stadt Charkiw seien auf einem Werksgelände zwei Abschussanlagen für US-amerikanische Himars-Raketen getroffen worden, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow. Unweit der Schwarzmeer-Metropole Odessa hätten die russischen Truppen eine Vorrichtung für ebenfalls von den USA gelieferten Schiffsabwehrraketen des Typs Harpoon zerstört. Die Aussagen ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die westliche Militärhilfe, mit der die Ukraine eigenen Angaben zufolge teils erfolgreiche Gegenoffensiven startet, ist Russland ein Dorn im Auge.

Weiter heftige Kämpfe in der Ost-Ukraine

In der ostukrainischen Region Donezk haben die russischen Truppen Angaben aus Kiew zufolge ihre Angriffe in Richtung der Stadt Bachmut fortgesetzt. »Die Kämpfe dauern an«, teilte der ukrainische Generalstab auf Facebook mit. Auch in der benachbarten Stadt Soledar habe es Vorstöße der Russen gegeben, die aber abgewehrt worden seien. Die Angaben ließen sich nicht aus unabhängiger Quelle überprüfen.

Der ukrainische Generalstab berichtete zudem von Kämpfen nordwestlich und westlich der unter russischer Kontrolle stehenden Großstadt Donezk. Die russischen Attacken bei Pisky und Marjinka seien jedoch ohne Erfolg geblieben, hieß es.

Zurückgetretener Kreml-Beamter auf Intensivstation

Der nach Beginn des Ukraine-Kriegs zurückgetretene prominente Kreml-Beamte Anatoli Tschubais wird laut Medienberichten mit schweren gesundheitlichen Problemen in Europa in einem Krankenhaus behandelt. »Das ist natürlich eine traurige Nachricht, wir wünschen ihm baldige Genesung«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Angaben der italienischen Tageszeitung »La Repubblica« zufolge wird Tschubais in einer Klinik auf der Mittelmeerinsel Sardinien behandelt, wo er zuvor Urlaub gemacht haben soll.

Am Sonntag hatte die prominente russische Moderatorin und frühere Präsidentenkandidatin Xenia Sobtschak unter Berufung auf Tschubais' Familie geschrieben, der 67-Jährige sei in »nicht stabilem Zustand« auf eine Intensivstation gebracht worden. »Ihm wurde schlecht. Seine Arme und Beine erlahmten plötzlich.« Sobtschaks Angaben zufolge wurde der Raum, in dem sich Tschubais zuletzt aufhielt, von »Spezialisten in Chemie-Schutzanzügen« untersucht.

Angesichts dieser Beschreibungen entbrannten in sozialen Netzwerken Spekulationen darüber, ob der einstige Vertraute von Russlands Präsident Wladimir Putin möglicherweise vergiftet worden sein könnte. Auch die »Repubblica« schrieb, es werde einem Vergiftungsverdacht nachgegangen. Mögliche Ursache von Tschubais' Unwohlsein könne aber auch eine seltene Nervenkrankheit sein, hieß es.

Von der Leyen warnt vor »schlimmster Situation«

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vor einer Zuspitzung der Energiekrise in der Europäischen Union in Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine gewarnt. »Da Russland bereits zwölf Mitgliedsländern (der EU) die Gaslieferungen ganz oder teilweise abgedreht hat, müssen wir uns alle auf die schlimmste Situation vorbereiten«, erklärte von der Leyen im Interview der spanischen Zeitung »El Mundo«.

Der vorige Woche vereinbarte europäische Notfallplan zur Drosselung des Gaskonsums werde aber »dazu beitragen, unseren Bedarf an Wintervorräten zu decken«. Spanien hatte sich wie andere EU-Länder dem Notfallplan zunächst widersetzt, das Vorhaben nach Zugeständnissen aber am Ende gebilligt.

© dpa-infocom, dpa:220801-99-228251/16