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U-Ausschuss zum Atomausstieg legt los

Vor mehr als einem Jahr gingen die letzten drei deutschen Atommeiler vom Netz. Die Union verlangt Aufklärung zu dem historischen Schritt. Nun startet die Aufarbeitung in einem Untersuchungsausschuss.

Untersuchungsausschuss befasst sich mit deutschem Atomausstieg
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) auf dem Weg zur ersten Sitzung des Untersuchungsausschusses zum deutschen Atomausstieg. Foto: Carsten Koall/DPA
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) auf dem Weg zur ersten Sitzung des Untersuchungsausschusses zum deutschen Atomausstieg.
Foto: Carsten Koall/DPA

Ging bei den Entscheidungen zum deutschen Atomausstieg alles mit rechten Dingen zu? Um das zu prüfen, hat ein Untersuchungsausschuss des Bundestages seine Arbeit aufgenommen. Aufgabe der Mitglieder sei es, »sich mit den staatlichen Entscheidungsprozessen zur Anpassung der nationalen Energieversorgung an die durch den Krieg gegen die Ukraine veränderten Versorgungslagen zu befassen«, sagte Parlamentspräsidentin Bärbel Bas zu Beginn der ersten Sitzung des Ausschusses am Abend. 

Dabei sei zu klären, welche Informationen den Entscheidungen zugrunde gelegt wurden, und welche nationalen, ausländischen oder internationalen Stellen einbezogen wurden. »Wurde insbesondere ein längerer Weiterbetrieb der im Jahr 2022 noch laufenden Kernkraftwerke tatsächlich ergebnisoffen geprüft?« Mit dieser Frage soll sich der Ausschuss laut Bas beschäftigen. Er nimmt die deutsche Energiepolitik seit dem 24. Februar 2022 in den Blick nimmt - dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Die Unionsfraktion hatte den Untersuchungsausschuss Mitte Juni beantragt, der Bundestag hat am Nachmittag mit den Stimmen von Union und AfD grünes Licht gegeben. Die Unterstützung eines Viertels der Abgeordneten reichte dafür aus.

Vorwürfe gegen Habeck und Lemke

Im Fokus der Untersuchung stehen auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne). CDU/CSU werfen ihnen vor, den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken in Deutschland nicht »ergebnisoffen« und »unvoreingenommen« geprüft zu haben. 

»Es besteht der dringende Verdacht, dass hier die Öffentlichkeit bewusst von den Ministern Habeck und Lemke getäuscht worden ist, und das wollen wir aufklären«, sagte der CDU-Politiker Stefan Heck der Deutschen Presse-Agentur unmittelbar vor der Sitzung. In dem Gremium wurde er zum Vorsitzenden gewählt. Lemke und Habeck weisen die Anschuldigungen von sich. 

Was zur erneuten Debatte um den Atomausstieg führte

Wegen der Energiekrise infolge des Krieges hatte die Bundesregierung entschieden, die letzten drei Meiler noch ein paar Monate länger laufen zu lassen als ursprünglich geplant. So verschob sich der deutsche Atomausstieg vom 31. Dezember 2022 auf den 15. April 2023. Die Dauer des Weiterbetriebs der Kraftwerke sowie die Entscheidung zum endgültigen Atomausstieg hatten sowohl in der Regierung als auch der Opposition für heftige Debatten und Streit gesorgt. 

Die Grünen hatten sich lange gegen jede Form der Laufzeitverlängerung gewehrt, schließlich aber das von Habeck und den AKW-Betreibern im September 2022 vorgelegte Konzept einer vorübergehenden Einsatzreserve für zwei der drei letzten Meiler unterstützt. Die FDP hatte sich für eine über April 2023 hinausgehende Laufzeit eingesetzt. Im Oktober 2022 sprach Kanzler Olaf Scholz (SPD) dann ein Machtwort, das zum Weiterbetrieb aller drei Meiler bis spätestens zum Frühjahr 2023 führte.

Gab es eine ergebnisoffene Prüfung zum Weiterbetrieb?

Die Zweifel der Union an vorbehaltlosen Entscheidungen über den Weiterbetrieb stützt ein vor Wochen erschienener Bericht des Magazins »Cicero«. Danach sollen sowohl im Wirtschafts- als auch im Umweltministerium im Frühjahr 2022 interne Bedenken zum damals noch für Ende 2022 geplanten Atomausstieg unterdrückt worden sein. Beide Ministerien bestreiten dies.

Im Unionsantrag zur Einberufung des Untersuchungsausschusses heißt es, Habeck habe am 27. Februar 2022 eine ergebnisoffene Prüfung zu einem möglichen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke zugesagt. Am 1. März desselben Jahres habe er eine Prüfung angekündigt, bei der es »keine Tabus« geben werde. Nur kurze Zeit später, am 7. März 2022, hätten dann Habecks und Lemkes Ministerien einen gemeinsamen »Prüfvermerk« veröffentlicht und darin einen Weiterbetrieb abgelehnt, unter anderem aus Sicherheitsgründen. 

Es sei nicht auszuschließen, »dass fachliche Expertise politischen und parteipolitischen Vorgaben weichen musste«, heißt es im Antrag. Daher soll insbesondere geklärt werden, ob die von Habeck zugesagten Prüfungen einer Laufzeitverlängerung stattgefunden hätten und ob »kritische Stimmen systematisch unterdrückt« worden seien, sagte der CSU-Bundestagsabgeordnete und Energiepolitiker, Andreas Lenz. 

Lemke sorgt sich nicht

Umweltministerin Lemke hatte der dpa gesagt, dass sie dem Ausschuss »sehr gelassen« entgegenblicke. »Untersuchungsausschüsse einzusetzen, ist das Recht der Opposition«, betonte sie. Ihr Haus habe »von Anfang an alle Fragen des Parlamentes und der Öffentlichkeit transparent beantwortet«. Die Fakten lägen auf dem Tisch, sagte Lemke.

Habeck hatte nach einer Anhörung im April versichert: »Die Versorgungssicherheit hatte für mich absolute Priorität, und das ganze Haus hat ohne Denkverbote, allerdings natürlich immer auf der Basis von Fakten, von Daten und auch von Rechtsnormen, gearbeitet.« 

Untersuchungsausschüsse »schärfstes Schwert der Opposition«

Das Gremium zum Atomausstieg ist neben dem Ausschuss zum Abzug der Truppen aus Afghanistan der zweite Untersuchungsausschuss in der aktuellen Wahlperiode. Untersuchungsausschüsse gelten als das »schärfste Schwert der Opposition«. Um sie einzusetzen, muss mindestens ein Viertel aller Mitglieder des Bundestags zustimmen. Mit 195 von 733 Abgeordneten hätte die Unionsfraktion die Vorgabe auch ohne Unterstützung der AfD erfüllt.

Der Ausschuss-Vorsitzende Heck geht davon aus, dass die ersten Zeugen in dem neuen Gremium voraussichtlich im September nach der parlamentarischen Sommerpause befragt werden. Auch die Umweltministerin und der Wirtschaftsminister werden dem Ausschuss dann als Zeugen Rede und Antwort stehen müssen.

© dpa-infocom, dpa:240704-930-163905/3