Der Gerichtssaal in New York ist schmucklos. Linoleum-Boden, Neonleuchten an der Decke, die Wände holzvertäfelt. Etwas Glanz versprühen vielleicht die goldfarbenen Buchstaben an der Wand. »In God we trust« steht dort - »Auf Gott vertrauen wir«.
Es ist wohl kein Ort, an dem sich Donald Trump normalerweise aufhalten würde. Aber er ist an diesem Dienstag auch nicht freiwillig dort. Hier wird eine Anklage gegen den Ex-Präsidenten verlesen - ein beispielloser Vorgang in der Geschichte der USA.
Der triste Gerichtssaal ist wohl der größtmögliche Kontrast zu Trumps pompösem Anwesen in Palm Beach in Florida. Dort steht der Mann, der nach der Wahl 2024 wieder ins Weiße Haus einziehen will, nur wenige Stunden nach seinem Gerichtstermin auf einer Bühne. Schwere Kronleuchter hängen von der Stuckdecke, die Wände sind goldverziert. Hier in seiner Wahlheimat fühlt sich Trump wohler - aber der Tag ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Ein Blick zurück.
Trump vorübergehend in Gewahrsam
Der 76-Jährige ist in New York angeklagt worden - als erster Ex-Präsident der USA. Er muss dort vor Gericht persönlich erscheinen. Bei seinem Termin im Gericht im Süden Manhattans wird er vorübergehend in Gewahrsam genommen, die Anklagepunkte werden verlesen. Es geht um Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar und die Präsidentschaftswahl 2016. Die Staatsanwaltschaft in New York wirft dem Republikaner Fälschung von Geschäftsunterlagen in 34 Fällen vor.
Der Termin ist ein Spektakel ohnegleichen - schon die Anreise nach New York am Tag zuvor war ein Medienzirkus. Und der Tag der Anklageverlesung steht dem in nichts nach. Alles an diesem Termin ist außergewöhnlich - auch Trumps Verhalten. Kann der frühere TV-Entertainer normalerweise an keinem Mikrofon vorbeigehen, lässt keine Reporterfrage unbeantwortet - in New York guckt er finster drein und schweigt sich aus. Wohl auch auf den Rat seiner Anwälte hin.
Etwa um 13.00 Uhr verlässt der Ex-Präsident den Trump-Tower an der weltbekannten Fifth Avenue und steigt in ein dunkles SUV. Hubschrauber mit Fernsehkameras fliegen über dem Hochhaus, sie verfolgen den Konvoi. TV-Kommentatoren spekulieren darüber, was während der nicht mal halbstündigen Fahrt wohl in Trumps Kopf vorgehen mag. Im Süden Manhattans verschwindet der Republikaner dann kommentarlos im Gerichtsgebäude. Dort werden Medienberichten zufolge seine Fingerabdrücke genommen, bevor er schließlich den schnöden Gerichtssaal im 15. Stock betritt. Es warten Dutzende Journalistinnen und Journalisten, Sicherheitskräfte, Gerichtszeichner und eine Stenografin auf ihn.
Sorge vor Ausschreitungen
So eine Stimmung im Gerichtssaal habe er noch nicht erlebt, sagt ein Journalist. Sämtliche Elektronik ist dort für die Presse verboten - nur Zettel und Stift sind erlaubt. Als Trump schließlich mit angespannter Miene den Saal betritt, setzt er sich zwischen seine Anwälte. Es wird still. Dem einst mächtigsten Mann der Welt werden die Anklagepunkte eröffnet. »Werden Sie sich schuldig oder nicht schuldig bekennen?«, fragt ihn der Richter. »Nicht schuldig«, antwortet Trump mit klarer Stimme. Schließlich verlässt er das Gericht wortlos. »Sperrt ihn ein«, rufen einige auf der Straße. »Wir lieben Trump«, schreien zwei Frauen.
New York ist vieles gewohnt - die Metropole an der Ostküste der USA hat schon so ziemlich alles gesehen. Doch Trumps Gerichtstermin sorgt selbst dort an einigen Orten für Ausnahmezustand. Groß war die Sorge vor Ausschreitungen. Eingebrannt hat sich im kollektiven Gedächtnis der USA die tödliche Attacke auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Damals stürmten Anhänger Trumps den US-Kongress in der Hauptstadt Washington, weil sie dessen Wahlniederlage gegen den Demokraten Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl nicht akzeptieren wollten. Und auch dieses Mal hatte Trump wieder zu Protest aufgerufen.
Am Ende kommen nur einige hundert Menschen zum Demonstrieren - für und gegen Trump. Es bleibt friedlich. Einen etwas bizarren Auftritt legt die radikale Trump-Getreue Marjorie Taylor Greene hin, die kurz auftaucht, eine Rede hält und gegen die Justiz schimpft. Danach verschwindet sie schnell wieder. Noch während der Anklageverlesung lichten sich die Reihen der Demonstranten auf dem Platz vor dem Gerichtsgebäude. Die Polizei achtet darauf, dass Trumps Gegner und Fans durch Absperrungen voneinander getrennt bleiben. Und während sich vor dem Gericht die Weltpresse die Beine in den Bauch steht, geht in der Metropole das Leben einfach weiter. Nur ein paar Schritte entfernt gibt sich ein Paar das Ja-Wort.
Öffentliche Ansprache in Florida
New York - das war einst Trumps Stadt. Hier hat er den größten Teil seines Lebens verbracht und seine Geschäfte gemacht. Hier hat er seine erste Bewerbung für die Präsidentschaftskandidatur verkündet. Doch mittlerweile kann der Republikaner in weiten Teilen der liberalen Großstadt keinen Blumentopf mehr gewinnen. Er ist hier nicht unbedingt gern gesehen. Kein Wunder also, dass er mittlerweile im deutlich konservativeren Florida lebt. Vom New Yorker Gericht aus lässt sich Trump ohne Umwege zum Flughafen fahren - dort hebt er am Nachmittag mit seinem Flugzeug ab gen Palm Beach.
Dort hält er seine erste öffentliche Ansprache nach der Verlesung der Anklage - das handverlesene Publikum jubelt ihm zu. Doch Trump wirkt müde, zieht über den New Yorker Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg her, der für die Anklage gegen ihn verantwortlich ist. »Er sollte mindestens zurücktreten«, fordert Trump. Und New York, das sei einst eine tolle Stadt gewesen - jetzt aber nicht mehr. Groß angekündigt hatte er diese Rede. Dann ist nach rund einer halben Stunde Schluss. Es ist ein ungewöhnlicher Auftritt für einen Mann, der sonst gerne mal zwei Stunden am Stück spricht.
Erschöpft oder nicht - Trump ist die Aufmerksamkeit sicher. »Biden hat das Oval Office. Aber Trump hat die Hauptbühne«, schreibt etwa die »New York Times«. Was Präsident Joe Biden am Dienstag gemacht habe, dürfte kaum jemand in den USA mitbekommen haben. Er habe die Bühne seinem Vorgänger überlassen - sicher auch in der Hoffnung, dass Trumps Justizdramen Wählerinnen und Wähler abschreckten, so die Zeitung. Ob das funktionieren wird, ist offen.
Trump wäre nicht Trump, würden er und sein Team die Anklage und das Theater darum nicht maximal für den Wahlkampf ausschlachten. Im offiziellen Trump-Shop gibt es schon ein T-Shirt mit einem Polizeifoto des Mannes zu kaufen, um den sich hier alles dreht - hundert Prozent Baumwolle. »Nicht schuldig« steht darauf. Die Ironie: Medien zufolge wurde ein solches Foto von ihm in New York gar nicht gemacht.
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