Die Linke versucht, sich nach dem unerwarteten Rücktritt von Co-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow und vor dem Hintergrund von Sexismus-Vorwürfen in der Partei neu zu sortieren.
Der Vorstand der Partei beschloss nach Angaben von Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler am späten Mittwochabend einstimmig, dass Co-Chefin Janine Wissler die Partei zunächst allein weiterführen soll. Die Linke im Bund und auch Wisslers wegen Sexismus-Vorwürfen unter Druck stehender Landesverband in Hessen versprachen außerdem Aufklärung und ein konsequenteres Vorgehen gegen Parteimitglieder bei diesem Thema.
Wissler macht erst mal alleine weiter
Schindler sagte am Donnerstag im Deutschlandfunk, Wissler habe die Parteispitze gefragt, ob sie die Linke nach Hennig-Wellsows Rücktritt zunächst allein weiter führen solle. »Und das hat der Parteivorstand ihr so als Mandat gegeben. Es gab ein einstimmiges Votum, dass sie das zunächst weiter tun soll.« Er blieb auch bei seiner Forderung, dass der gesamte, 44 Mitglieder umfassende Vorstand, der seit gerade mal 14 Monaten im Amt ist, beim anstehenden Parteitag im Juni neu gewählt werden sollte. Entscheidungen dazu sind laut einem Parteisprecher aber noch nicht gefallen. Wissler selbst hat sich seit Hennig-Wellsows Rücktritt noch nicht öffentlich geäußert.
Der Rücktritt hat die Partei kalt erwischt und auch Wissler einem Sprecher zufolge überrascht; im Nachhinein erscheint er weniger überraschend: Schon nach der Saarland-Wahl vor wenigen Wochen, als die Linke krachend aus dem Landtag flog, hatte Hennig-Wellsow gesagt, der Grad von »Schnauze voll« sei relativ hoch. Ihr Rücktritt ist der Höhepunkt einer langen Krise in der Linken: Dauerstreit mit Parteipromi Sahra Wagenknecht über die richtigen Themen und die Ansprache von Wählern, eine fast vernichtende Niederlage bei der Bundestagswahl, Streit über die Russland-Politik nach dem Überfall auf die Ukraine, der Parteiaustritt von Oskar Lafontaine und schließlich auch noch Sexismus-Vorwürfe.
»Mutmaßliche Grenzüberschreitungen« in Hessen
Der "Spiegel" hatte vergangene Woche über "mutmaßliche Grenzüberschreitungen und "Machtmissbrauch" im hessischen Landesverband der Linken berichtet. So soll etwa ein "einflussreiches Mitglied der Wiesbadener Linkspartei" im hessischen Landtag Fotos und Videos einer minderjährigen Frau in sexuellen Posen aufgenommen haben. Sie habe den Politiker später wegen Nötigung und Beleidigung angezeigt. Zur Zeit der Vorfälle sei die jetzige Bundesvorsitzende Janine Wissler Fraktionsvorsitzende der Linken in Hessen gewesen. Die mit der Linken verbundene Jugendorganisation Linksjugend Solid berichtete auch von Verdachtsfällen über Hessen hinaus.
In der spätabendlichen Krisensitzung des Parteivorstands am Mittwoch, die von Hennig-Wellsows Rücktritt überschattet wurde, beschloss die Linke die »Einrichtung einer unabhängigen Beratungsstruktur« mit Anwälten und Anti-Gewalt-Experten für die weitere Aufklärung und als Anlaufstelle für künftige Betroffene. Zudem kündigte die Partei ein härteres Vorgehen gegen sexistisches Verhalten bei Mitgliedern an. Künftig drohen könnten demnach befristete Ausschlüsse von Sitzungen, ein Entzug des Rede- oder Wahlrechts oder auch eine Entbindung von Ämtern.
Die hessische Linke zieht ebenfalls Konsequenzen. Wie die Parteispitze mitteilte, wurde von drei Beschuldigten ein Mitarbeiter der Landtagsfraktion beurlaubt, ebenso der persönliche Mitarbeiter einer Abgeordneten. Die stellvertretende Landesvorsitzende Marjana Schott sei bereits am Mittwoch von ihrem Amt zurückgetreten. Es solle nun eine »Kultur des Hinschauens« entwickelt werden, hieß es. Diskutiert werde auch, ob antisexistische Schulungen verpflichtend für Funktionäre werden sollten.
Wie geht es weiter?
Die nächsten zwei Monate bis zum geplanten Parteitag der Linken dürften geprägt sein von neuen Personaldebatten und Diskussionen über die Ausrichtung der Partei: Wer soll sie künftig führen? Und mit welchen Themen und wie sollen Wähler angesprochen werden? Bundesgeschäftsführer Schindler sagte, zu wenig Menschen vertrauten gerade der Linken, daran müsse man dringend arbeiten.
Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach in den ARD-»Tagesthemen« von »einer der schwersten Krisen« seiner Partei. Kurz nach der Bundestagswahl, als es die Linke mit 4,9 Prozent nur wegen dreier gewonnener Direktmandate wieder in Fraktionsstärke ins Parlament schaffte, hatte er bereits gewarnt: Wenn die nächsten vier Jahre nicht erfolgreich würden, »dann macht diese Fraktion das Licht aus«.
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