Logo
Aktuell Ausland

Türkei-Wahl am 14. Mai: Kostet das Erdbeben Erdogan das Amt?

Trotz der anhaltenden Not in vielen türkischen Regionen nach der Erdbebenkatastrophe sollen die Menschen am 14. Mai wählen, wer sie regiert. Es wird wohl die wichtigste Abstimmung seit Jahrzehnten.

Recep Tayyip Erdogan
Will trotz der verheerenden Erdbebenkatastrophe an dem gesetzten Wahltermin im Mai festhalten: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Foto: Turkish Presidency
Will trotz der verheerenden Erdbebenkatastrophe an dem gesetzten Wahltermin im Mai festhalten: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Foto: Turkish Presidency

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will auch nach der Erdbebenkatastrophe am Termin für vorgezogene Neuwahlen Mitte Mai festhalten. »Dieses Volk wird, so Gott will und die Zeit naht, am 14. Mai das Nötige tun«, sagte Erdogan in Ankara.

Der 69-Jährige will dann erneut für das Präsidentenamt kandidieren. Mit seiner Ankündigung nun ist das Datum quasi amtlich, denn der Präsident kann die Wahl per Dekret vorziehen, ohne Mitsprache des Parlaments. Die Abstimmung, ohnehin die wohl bedeutendste in seiner 20-jährigen Regierungszeit, folgt nur wenige Wochen auf eine Jahrhundertkatastrophe.

Am 6. Februar erschüttern gleich zwei Beben der Stärke 7,7 und 7,6 die Türkei und Nordsyrien. Mehr als 50.000 Menschen sterben in der Folge, allein in der Türkei sind es mehr als 45 000. Aber lässt das Beben auch die Wählerbasis Erdogans wegbrechen? Die Regierung hat sich zuletzt scharfer Kritik stellen müssen, etwa wegen geringer Erdbebensicherheit vieler Gebäude und zu langsamer und unzureichender Nothilfe. Sie selbst hat eventuelle Pannen unter anderem mit der Größe der Katastrophenregion und der Schwere der Beben gerechtfertigt. Viele Kritiker wollen das nicht gelten lassen und die Regierung zur Rechenschaft ziehen lassen.

Erdbeben hat das »ganze System Erdogan« erschüttert

Aktuelle Umfragen zeichnen ein gemischtes Bild zur Frage, ob Erdogan wegen der Erdbebenkatastrophe Stimmen einbüßen muss. Derzeit wird ein Großteil der vom Erdbeben betroffenen Provinzen von seiner AKP regiert. Günter Seufert, Leiter des Centrums für angewandte Türkeistudien in Berlin, sagt, das Erdbeben habe das »ganze System Erdogan« erschüttert. Nach mehr als 20 Jahren an der Regierung könne der Präsident die Verantwortung für die Versäumnisse niemand anderem zuschieben. Deswegen wolle Erdogan an dem früheren Wahltermin festhalten. »Je länger sie die Wahl rausschieben, desto mehr werden die Verfehlungen und die wirtschaftlichen Probleme deutlich.« Erdogan werde Wahlkampf damit machen, dass nur seine Regierung den Wiederaufbau schaffen könne. Die Taktik sei: Man verspreche das Blaue vom Himmel und gewinne so die Wahl.

Bereits in der Vergangenheit hatten Krisen - vor allem außenpolitischer Art - dem Präsidenten immer wieder Zustimmung eingebracht. Es gilt als bekanntes Phänomen, dass Menschen in Krisenzeiten eher auf Beständigkeit setzen, als auf einen politischen Neuanfang. Denn als sicher gilt, dass eine Ablösung des Systems Erdogan nach 20 Jahren mit großen Unbekannten einhergehen würde.

Erdogan hatte im Januar angekündigt, vorgezogene Wahlen am 14. Mai zu veranlassen - regulär wäre im Juni gewählt worden. Beobachter sahen das bereits als Versuch, einem verschärften Wirtschaftseinbruch zuvorzukommen.

Wer wird der Gegenkandidat von Erdogan?

Nun beherrscht das Erdbeben die Agenda. Seit dem 6. Februar wurden laut Regierung mehr als 1,9 Millionen Menschen aus den betroffenen Provinzen evakuiert. Weitere 1,9 Millionen leben dort in Zelten, haben Hab und Gut verloren - und oftmals auch jegliche Ausweisdokumente in den Trümmern zurückgelassen. Dass die Organisation einer Abstimmung unter diesen Umständen zumindest eine große Herausforderung ist, lässt sich kaum bestreiten. Aber auch die Opposition sieht darin kein Wahl-Hindernis. Es sei genügend Zeit, eine Infrastruktur dafür bereitzustellen, so Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu kürzlich.

Auf Kilicdaroglu - einem der möglichen Erdogan-Herausforderer - werden derweil am Donnerstag alle Augen liegen. Dann nämlich trifft sich das Bündnis aus sechs Oppositionsparteien, das mit einem gemeinsamen Kandidaten gegen Erdogan antreten will. Wer der Herausforderer wird, wollte das Bündnis eigentlich schon im Februar angekündigt haben. Dann kam das Beben und warf auch im Politikbetrieb vieles Durcheinander.

Dass der Kandidat nun tatsächlich am Donnerstag verkündet wird, ist aber unklar. Neben Kilicdaroglu gelten auch der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu und der Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas (beide ebenfalls CHP), als mögliche Kandidaten.

Erdogans Kalkül dürfte es gewesen sein, die Opposition mit seiner kurzfristigen Wahl-Ankündigung zu überraschen. Türkei-Experte Seufert jedenfalls findet den »riesigen Unmut« im Land derzeit bemerkenswert. Es bleibt abzuwarten, ob nicht der siegessichere Erdogan im Mai eine Überraschung erlebt.

© dpa-infocom, dpa:230301-99-783783/5