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Stresstest für die Demokratie: Wie umgehen mit der AfD?

Die AfD ist in vielen Parlamenten stark - aber in der Minderheit. Trotzdem kann sie das demokratische Gefüge aufmischen. Die Machtprobe in Thüringen dürfte nicht der letzte gewesen sein.

Konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags
Im zweiten Anlauf hat der Thüringer Landtag am Samstag seine konstituierende Sitzung absolviert. Foto: Martin Schutt/DPA
Im zweiten Anlauf hat der Thüringer Landtag am Samstag seine konstituierende Sitzung absolviert.
Foto: Martin Schutt/DPA

Keine Zwischenrufe, keine Beschimpfungen, kein Eklat: Im zweiten Anlauf hat der Thüringer Landtag seine konstituierende Sitzung geschafft. Der Vorlauf aber war dramatisch. Arbeitsfähig wurde das Parlament erst auf Anordnung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs nach einer beispiellosen Machtprobe zwischen der AfD und der Mehrheit des Hauses. Es dürfte nicht der letzte Stresstest der Demokratie gewesen sein - nicht in Thüringen und auch nicht in anderen deutschen Parlamenten. 

Bei den jüngsten Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hat die Rechtsaußenpartei mit jeweils um die 30 Prozent nicht nur sehr stark abgeschnitten. In den Landtagen in Erfurt und Potsdam erreichte sie zudem eine sogenannte Sperrminorität von mehr als einem Drittel der Mandate. Damit könnte sie künftig wichtige Entscheidungen blockieren - unter anderem die Wahl von Richtern am Verfassungsgerichtshof, also jener Institution, die gerade gegen die AfD entschieden hat. Dass die Partei ihre Machtposition zur »Obstruktion« tatsächlich nutzen wolle, habe sie mit ihrem Verhalten in Thüringen deutlich gemacht, sagte der Bonner Politologe Frank Decker dem Sender Phoenix. 

Der Fall liegt in Brandenburg anders als in Thüringen

In Erfurt drehte sich der Konflikt, der beim ersten Anlauf der konstituierenden Sitzung am Donnerstag zu Chaos führte, scheinbar um das Kleingedruckte der Geschäftsordnung. Es ging darum, ob die AfD als stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten stellen darf. Die Partei fordert das vehement ein und beruft sich auf ein »Verfassungsgewohnheitsrecht«. Die übrigen Parteien halten dagegen: Die AfD kann jemanden vorschlagen, aber gewählt ist, wer eine Mehrheit findet.

Ähnliches ist in Brandenburg zunächst nicht zu erwarten. Erstens ist die AfD dort, anders als in Thüringen, knapp nur zweite Kraft. Zum anderen hat die Parlamentsmehrheit vorgesorgt. »Wir waren klug, die Landesverfassung zu ändern und die Besetzung des Landtagspräsidiums offen zu gestalten«, sagte der brandenburgische SPD-Fraktionschef Daniel Keller der Deutschen Presse-Agentur. Auch im Bundestag änderte die Mehrheit 2017 vorsorglich die Regeln. Alterspräsident wird dort nicht der oder die älteste Abgeordnete, sondern die Person mit der längsten Zugehörigkeit zum Parlament. 

Wird hier »das Wählervotum« ignoriert?

Genau das macht die AfD zur Grundsatzfrage: Sie empört sich über ihre Isolation. »Wenn ein Wählervotum derart ignoriert wird, wenn die gesamte etablierte Parteienlandschaft zu einem Einheitsbrei verschmilzt, mache ich mir Sorgen um den Zustand unserer parlamentarischen Demokratie«, schrieb Parteichefin Alice Weidel auf X, nachdem in Thüringen die AfD-Kandidatin bei der Wahl des Landtagspräsidenten durchgefallen war. 

Allerdings vertritt die AfD auch nach den jüngsten Wahlerfolgen eben nur eine Minderheit. Mehr als zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler in Thüringen, Sachsen und Brandenburg stimmten nicht für sie. Im Bundestag steht sie für 10,4 Prozent der Stimmen. Und da die AfD für ihre Ziele keine Verbündeten findet, kann sie wenig durchsetzen - anders als Parteien, die in Koalitionen Kompromisse suchen, von der AfD regelmäßig als »Kartellparteien« verunglimpft. 

Der Politikwissenschaftler André Brodocz sagte nach dem Eklat vom Donnerstag, in Erfurt habe man gesehen, wie »die Minderheit im Landtag versucht hat, der Mehrheit ihren Willen aufzuzwingen«. Das sei »tiefste Missachtung des Mehrheitsprinzips, wie es unserer parlamentarischen Demokratie zugrunde liegt«. Er bemerke auch, dass bei solchen Gelegenheiten in sozialen Netzwerken Stimmung gemacht werde. »Die eigene Klientel wird damit in ihren Auffassungen (bestärkt), dass die AfD hier vielleicht sogar auf eine vermeintlich undemokratische Art und Weise um ihre Rechte gebracht wird«, sagte Brodocz.

Zweifel sähen an den Institutionen

Juristisch hat die AfD mit ihrer Rechtsauffassung mehrfach den Kürzeren gezogen. Sie unterlag jetzt vor dem Verfassungsgerichtshof in Weimar, der für die Auftaktsitzung des Landtags klare Vorgaben machte. Und auch das Bundesverfassungsgericht entschied mehrfach gegen sie. Die AfD hatte in Karlsruhe geklagt, weil sie seit ihrem Einzug in den Bundestag 2017 keinen Vizepräsidenten hat - die übrigen Parteien ließen ihre Kandidatinnen oder Kandidaten stets durchfallen. Das Bundesverfassungsgericht entschied hier im März 2022, das Recht auf gleichberechtigte Berücksichtigung stehe unter dem Vorbehalt der Wahl durch die übrigen Abgeordneten. Auch nach einer Klage gegen die Nichtwahl und Abwahl von Ausschussvorsitzenden urteilte das Gericht gegen die AfD.

Die Partei sät im Gegenzug Zweifel an obersten Gerichten - und nimmt damit eine weitere demokratische Institution ins Visier. So sagte Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke vor der Entscheidung zum Landtagseklat über das Landesverfassungsgericht: »Dort sitzt keiner, der nicht das richtige Parteibuch hat.« Und weiter im rechten »Deutschland-Kurier«: »Deshalb sind es natürlich voreingenommene Richter.« Falls die Thüringer Verfassungshüter gegen die AfD urteilten, dann »machen sie sich als Juristen auch lächerlich«. Nach der Entscheidung sagte Höcke, man erkenne den Spruch an. Aber er erneuerte seine Kritik.

Die AfD ist in der Minderheit, aber sie hat konkreten Einfluss

Damit ist der Boden bereitet für das nächste Feld der Auseinandersetzung. In den nächsten fünf Jahren müssen alle Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Thüringens mit Zweidrittelmehrheit vom Landtag gewählt werden, wie der Politologe Brodocz in Erinnerung rief. Da kommt die Sperrminorität zum Tragen. »Hier wird man mit der AfD unvermeidlich reden müssen«, meinte er. »Es ist sehr schwer vorzustellen im Moment, dass man hier wieder auf eine sachliche Ebene zurückkehrt.« Was passiert, wenn keine Richter bestimmt werden? Dieselbe Frage könnte sich in Brandenburg stellen.

Im Bund richtet sich der Blick auf das Bundesverfassungsgericht. Am Freitag stellte sich der Bundesrat hinter Bemühungen, das Grundgesetz zu ändern, um »die Funktionsfähigkeit, Unabhängigkeit und Überparteilichkeit des Gerichts sicherzustellen«.

© dpa-infocom, dpa:240929-930-246616/1